Atomkraftwerke - Unsicher und grundrechtswidrig
Ein Bericht über Kernschmelzgefahr und Grundrechtsbeeinträchtigungen


Teil 3

Das Projekt European Pressurized Water Reactor EPR und die heutigen Anforderungen an die Sicherheit von Atomkraftwerken


Inhalt

Der § 7 Absatz 2a Atomgesetz und die Planung von neuen Atomkraftwerken

Partner Siemens und Framatome: Die Gründung der gemeinsamen Firma NPI

Beginn der öffentlichen Diskussion um das EPR-Projekt

Bürgerinitiativen gegen den EPR

Technische Vorschläge des KfK zur Berücksichtigung des neuesten Standes von Wissenschaft und Technik bei der Bewältigung der Kernschmelzphänomene

Partner deutsche und französische Genehmigungsbehörden: Der Deutsch-Französische Direktionsausschuß DFD

Die Empfehlungen des DFD zur Bewältigung der Kernschmelzproblematik durch den EPR

Planungswirklichkeit des EPR: Des Kaisers neue Kleider

Die deutschen Sicherheitsgremien im DFD und der EPR

Hat der EPR noch wirtschaftliche Aussichten?


Der § 7 Absatz 2a Atomgesetz und die Planung von neuen Atomkraftwerken

Bis jetzt haben wir dargestellt: Die heute in der Bundesrepublik betriebenen Atomkraftwerke entsprechen nicht der Anforderung des neuen § 7 Absatz 2a des Atomgesetzes, daß bei Kernschmelzunfällen mit ihren schwerwiegenden und weitreichenden Folgen "einschneidende Maßnahmen zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen außerhalb des abgeschlossenen Geländes der Anlage nicht erforderlich" sein sollen. Weil mit den geplanten Katastrophenschutzmaßnahmen der Schutz der Grundrechte der Bevölkerung nicht erreicht werden kann, muß man ihren Weiterbetrieb als verfassungswidrig bezeichnen.

Kommen wir nun zu einem weiteren Detail in den Formulierungen des § 7 Abs. 2a: Er bestimmt, daß "die Genehmigung nur erteilt werden darf", wenn auf Grund der Beschaffenheit und des Betriebs der Anlage auch "Ereignisse" in der Anlage die oben beschriebenen Katastrophenschutzmaßnahmen "außerhalb des abgeschlossenen Geländes der Anlage nicht erforderlich machen würden". Der ganze erste Abschnitt von § 7 Abs. 2a ist also eine Regelung für die Genehmigung von neuen Atomkraftwerken. Ja, man erkennt aus den weiteren Formulierungen auch, daß die Planung für solche neuen Anlagen im Gange ist, aber noch nicht sehr weit vorangekommen gewesen sein kann, denn "die bei der Auslegung zugrunde zu legenden Ereignisse sind" erst noch "in Leitlinien näher zu bestimmen". Die Auslegung ist bei der Planung einer Industrieanlage der grundlegende Schritt, in dem einerseits die beabsichtigte Leistungsfähigkeit, andererseits die als notwendig erachteten technischen Schutzvorkehrungen festgelegt werden.

Eine neue gesetzliche Regelung für die Planung ist aber selbstverständlich nur dann notwendig, wenn der Gesetzgeber den Bau neuer Anlagen für gerechtfertigt und förderungswürdig hält. Der Bundestag hat also, nachdem die Erkenntnisse über die Kernschmelzgefahren in den Atomkraftwerken westlicher Bauart bestätigt worden waren, nicht nur nicht dafür gesorgt, daß die bestehenden Atomkraftwerke stillgelegt wurden. Er hat vielmehr auch Bedingungen genannt, bei deren Erfüllung er den Bau neuer Atomkraftwerke für verantwortbar hält.

Im Frühjahr 1994, als der neue § 7 Abs. 2a des Atomgesetzes in Kraft trat, war ein Industrieprojekt schon weit gediehen: der neue Druckwasserreaktortyp European Pressurized Water Reactor oder kurz EPR. Die beiden beteiligten Herstellerfirmen Siemens und die französische Framatome halten es für äußerst erstrebenswert, ihn trotz der verbreiteten Ablehnung der Atomenergie in der Bevölkerung durchzusetzen.

Dieses Projekt wird seit einigen Jahren in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik mit großem Aufwand propagiert. In der Atomwirtschaft, in den Aufsichtsbehörden und bis in alle Parteien wird heute die Vorstellung gepflegt, daß dieser Reaktortyp die dem Absatz § 7 Abs. 2a Atomgesetz entsprechenden Anforderungen erfüllt. Man kann sich leicht vorstellen, daß an ein Atomkraftwerk, das diesen Anforderungen genügen soll, weit höhere technische Ansprüche gestellt werden müssen, als sie die zur Zeit betriebenen AKWs erfüllen, und daß im Vergleich mit diesen weit höhere Baukosten zu erwarten sein müßten.

Auf den ersten Blick versteht man die Formulierung des Absatzes § 7 Abs. 2a so, daß die Genehmigung für einen AKW-Neubau nur dann erteilt werden kann, wenn der Hersteller den Nachweis erbringt, daß auch bei einem schweren Kernschmelzunfall die Auswirkungen auf die Anlage begrenzt bleiben und keine Katastrophenschutzmaßnahmen erforderlich sind. Genau betrachten wollen wir daher, wie die Reaktorhersteller es bewerkstelligen wollen, die Anforderungen des neuesten Standes von Wissenschaft und Technik zu erfüllen. Oder gibt es Kräfte, die ihnen nahelegen, nach Ausweichmöglichkeiten zu suchen?

Partner Siemens und Framatome: Die Gründung der gemeinsamen Firma NPI

In der Bundesrepublik ist die Firma Siemens seit langem das einzige Unternehmen, das sich noch mit der Herstellung von Atomtechnik beschäftigt.

Bis 1989 hatte das Unternehmen in seinen Jahresberichten die Schlußabrechnungen des Bereichs Kraftwerksunion KWU für fertiggestellte Atomkraftwerke immer als besondere Erfolge hervorgehoben. Als letzte konnten 1988 die AKWs Isar 2 und Emsland(Lingen) und 1989 Neckarwestheim II verbucht werden, die als Konvoi-Typ bekanntgeworden sind. Die früheren Atomreaktoren waren in vielen technischen Einzelheiten mehr oder weniger voneinander abweichend geplant worden. Demgegenüber waren diese Anlagen aufgrund gleicher Planunterlagen für den "standortunabhängigen Anlagenteil" des eigentlichen Druckwasserreaktors selbst sozusagen "im Konvoi" genehmigt worden. In ihnen waren nicht nur technische Anforderungen umgesetzt worden, die sich aus negativen Erfahrungen mit den früher errichteten Anlagen ergaben. Zugleich waren die Genehmigungsverfahren erleichtert worden. War die erste dieser Anlagen genehmigt, hatten die Einwender in den folgenden Verfahren mit ihren Einwendungen gegen den Reaktor selbst kaum mehr eine Chance.

Weitere Aufträge der EVUs für Atomkraftwerke waren aber längst ausgeblieben. Die der früheren Planung zugrundeliegenden Prognosen für ein rasches Anwachsen des Strombedarfs hatten sich längst als unhaltbar erwiesen. Statt dessen wurde es immer schwieriger für die EVUs, die technisch verfügbaren Strommengen an ihre Kunden loszuwerden.

Ein Großunternehmen wie Siemens kann aber einen Geschäftsbereich nur über längere Zeit funktionsfähig erhalten, wenn es für ihn realistische Aussichten auf neue Geschäftsabschlüsse mit der Erwartung wirtschaftlichen Erfolgs gibt.

Die Hoffnung auf den nächsten Großauftrag, die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf, mußte die KWU im März 1989 aufgeben. Der Vorstandsvorsitzende der Veba, von Bennigsen-Foerder, hatte die Bundesregierung vor die Tatsache gestellt, daß die Stromproduzenten nicht länger bereit waren, für die Finanzierung dieser Anlage aufzukommen. Wie es dazu gekommen war, kommentierte der Leiter der Kernforschungsanlage Jülich, Merz, treffend in der Ausgabe der atw vom Oktober 1989: "Neben den ökonomischen Vorteilen dürften politische Gründe mindestens ebenso ausschlaggebend für die unerwartete Entscheidung der Veba ... gewesen sein. Das juristische Hick-Hack, das ... über die Jahre 1986 bis im Frühjahr 1989 im Rahmen des Genehmigungsverfahrens stattgefunden hat und die parallel dazu abgelaufenen Demonstrationen am Baugelände und während der Anhörungsverfahren, sprechen für sich."

Zur selben Zeit war auch das Genehmigungsverfahren für den Reaktortyp HTR-Modul gescheitert. Das Tochterunternehmen von Siemens Interatom hatte diesen Atomkraftwerkstyp mit einer Leistung von nur 100 MW für verschiedene Industrieanwendungen und für Stadtwerke anbieten wollen. Mit ihm sollte nicht nur Strom, sondern auch Prozeßwärme produziert werden können. Durch die Kraft-Wärme-Kopplung und durch Serienfertigung sollten die Kosten für diese Anlagen günstig gehalten werden. Wegen seiner Bauweise mit kugelförmigen Brennelementen, in denen der radioaktive Brennstoff in Graphit eingeschlossen war, und mit Helium als Kühlmittel war bei diesem Reaktortyp aus physikalischen Gründen keine Kernschmelze zu erwarten. Deshalb wurde er auch als inhärent sicher bezeichnet. Es mußte aber mit der Möglichkeit eines Graphitbrandes, ähnlich wie im Unglücksreaktor von Tschernobyl, und mit entsprechenden Folgen für die weitere Umgebung gerechnet werden.

Abbildung 28. Kirchturmbesetzung der BIU gegen den HTR-Modul

Für den HTR-Modul war das standortunabhängige Genehmigungsverfahren gewählt worden, das der § 7 a AtG ermöglicht. Durch dieses Verfahren wurden die Möglichkeiten der Betroffenen, Ihre Rechte gegen den Bau der Anlage durch Einwendungen geltend zu machen, drastisch beschnitten. Wegen der grundrechtsbeschränkenden Wirkung des Genehmigungsverfahrens für die Betroffenen kam es zu einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung, die weder Siemens als Antragsteller noch das Niedersächsische Umweltministerium als Genehmigungsbehörde erwartet hatten. Die Gefährlichkeit dieses Reaktortyps wurde öffentlich diskutiert. Das wirtschaftliche Interesse möglicher Auftraggeber schwand rapide. Schließlich mußte im Februar 1989 der Genehmigungsantrag zurückgenommen werden. Siemens konnte die Selbständigkeit des Unternehmensbereichs Interatom nicht länger aufrechterhalten. Er wurde der KWU eingegliedert. Adolf Hüttl, Chef der Reaktorbauabteilung KWU, erklärte später, daß dies ebenfalls "aus politischen Gründen" geschah.

Als Prototyp für den HTR-Modul hätte man gern den THTR 300 in Hamm-Uentrop herzeigen wollen. Aber im Mai 1986 war der Öffentlichkeit und der Aufsichtsbehörde verheimlicht worden, daß gerade in der Zeit hoher Luftbelastung durch die Katastrophe von Tschernobyl radioaktiver Graphitstaub über den Kamin abgelassen worden war. Nach einem weiteren schweren Störfall war der Reaktor Ende September 1988 abgeschaltet worden. Zwar kämpfte die Betreibergesellschaft noch darum, ihn wieder in Betrieb nehmen zu können, aber das Ende war schon abzusehen.

Der Schnelle Brüter in Kalkar kam nicht über die Bauphase hinaus. Nach jahrelangen Protesten wurde das riesige Betonbauwerk am Niederrhein zwar 1986 fertig. Der Reaktor lieferte aber nie Strom: Die Brütertechnologie, bei der nichtspaltbares Uran in spaltbares Plutonium verwandelt wird, war nach dem Unglück von Tschernobyl in der Bundesrepublik nicht mehr durchsetzbar. Im März 1991 wurde endgültig beschlossen, das Projekt zu beenden.

Gleich nach dem Zusammenbruch des DDR-Regimes 1989 war deutlicher ins Blickfeld gerückt, daß es in der DDR mehrere Standorte mit Atomkraftwerken sowjetischer Bauart gab. Der älteste Atomreaktor der DDR mit 70 MW war in Rheinsberg in Betrieb. In Lubmin bei Greifswald waren vier ältere 440 MW-Blöcke in Betrieb und vier weitere 440 MW-Blöcke neueren Typs im Bau. Bei Stendal war der Bau eines 1000 MW-Blocks schon weit vorangekommen, mit dem Bau eines zweiten ebenso großen war begonnen worden. Es stellte sich die Frage, was mit diesen Anlagen geschehen sollte. In den großen Stromunternehmen machte man sich Hoffnungen darauf, diese Anlagen übernehmen zu können.

Schon vor 1989 hatten sich auch in der DDR Menschen zusammengefunden, um gegen Atomanlagen zu protestieren. Man mußte daher schnell einsehen, daß es gegenüber der Öffentlichkeit in Ost und West nicht vertretbar war, die älteren Blöcke weiterzubetreiben. Mit ihrer Stillegung gab man sich bald einverstanden mit der Begründung, daß eine sicherheitstechnische Nachrüstung nur mit hohen Kosten und deshalb unvertretbar hohem Aufwand hätte durchgeführt werden können.

Die vier jüngeren Blöcke in Lubmin, die im Bau waren, und der eine weitgehend errichtete in Stendal sollten nachgerüstet werden. Außerdem war vorgeschlagen worden, anstelle der vier stillgelegten Blöcke in Lubmin und des erst begonnenen in Stendal je einen Reaktor des Konvoi-Typs neu zu bauen.

Hier kam natürlich das Interesse der KWU an neuen Aufträgen ins Spiel.

Man hätte bei der Umrüstung der sowjetischen Atomkraftwerke an "eigenen" Anlagen Erfahrungen sammeln können, die für das Unternehmen eine gute Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit bei Nachrüstungen von baugleichen Anlagen in den ehemaligen Ostblockländern geschaffen hätten. Mit anderen Worten: Als Anbieter hätte man diese Erfahrungen gegenüber der Konkurrenz als Pluspunkt geltend machen können. Weit mehr Hoffnung machte man sich bei KWU aber auf die beiden Großaufträge für den Neubau. Daraus wurde nichts.

In einer Rede auf dem 9. Atomrechtssymposium im Juni 1991 erklärte Bundesumweltminister Töpfer: "International wird die Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie durch den Bau neuer Kernkraftwerke weitergehen; damit wird auch der technische Fortschritt weiterentwickelt. Wenn man die internationale Entwicklung auf diesem Gebiet betrachtet, so geht sie immer mehr dahin, nicht nur die präventive Ebene abzudecken, sondern auch den Schaden im noch so unwahrscheinlichen Ereignisfall auf die Anlage selbst zu begrenzen. Stichworte wie "inhärente Sicherheit", "passive Sicherheitseinrichtungen" und "geringe Leistungsdichte" stehen für diese künftigen Reaktorkonzepte. Dementsprechend werden sich zum gegebenen Zeitpunkt Neubauvorhaben an dieser Entwicklung messen lassen müssen; "Nachkonvoianlagen" werden dann nicht mehr zulässig sein. Dies ergibt sich im übrigen schon ohne Gesetzesänderung nach geltendem Atomrecht, da im Rahmen der erforderlichen Schadensvorsorge der jeweils neueste Stand von Wissenschaft und Technik Genehmigungsvoraussetzung ist."

Klaus Piltz, der Vorstandsvorsitzende der Veba, machte in der Hauptversammlung im Juli 1991 deutlich, daß er bereit sei, sich dieser Auffassung zu fügen: "Die bundesdeutsche Gesellschaft und Politik muß also in absehbarer Zeit Konsens und Akzeptanz dazu finden, ob die heutige Art der Kernenergienutzung fortgesetzt oder wie sie andernfalls abgelöst werden soll. Die notwendige Wiedergewinnung der Kernenergieakzeptanz ist wohl nur dann erreichbar, wenn die Gesellschaft - d.h. die Politik - der Kernenergie vorschreibt, welche Sicherheitskriterien die Kernenergienutzung in Zukunft zu erfüllen hat.

Die Politik verfolgt hier offenbar Entwicklungsrichtungen der Kernenergienutzung, die diese langfristig wieder konsensfähig machen könnte. Stichworte sind dabei: "Inhärente Sicherheit", "Passive Sicherheitseinrichtungen", "Geringe Leistungsdichte" und "Gefahrlose Entsorgung". Das Konzept des Bundesumweltministers erfordert eine Neubesinnung aller Beteiligten."

In der KWU empfand man die Folgen dieser Entscheidung nach den vorangegangenen Einbrüchen als enttäuschenden Rückschlag. Mit dem Neubau von Konvoi-Anlagen war nun nicht mehr zu rechnen. Man kann auch nicht gut auf dem internationalen Markt eine Anlage anbieten, der der eigene zuständige Minister gerade öffentlich bescheinigt hat, daß sie im Lande selbst keine Genehmigung mehr bekommen würde. Damit waren auch die Chancen, den Konvoi-Typ als Exportmodell anzubieten, auf den Nullpunkt gesunken.

Später folgte noch ein weiterer Einbruch für Siemens. In Hanau hatte eine Bürgerinitiative erreicht, daß die Brennelementfabrikation eingestellt werden mußte. 1994 wurde die Herstellung von plutoniumhaltigen MOX-Brennelementen beendet, ein Jahr später auch die Fertigung von Uran-Brennelementen.

Ganz unbehelligt blieben auch die Atomkraftwerksbetreiber nicht. Das Land Nordrhein- Westfalen setzte 1995 gegen die Eigentümerin Preag die Stillegung des Siedewasserreaktors Würgassen durch. Jüngst erst, im Januar 1998, bestätigte das Bundesverwaltungsgericht, daß das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich der RWE endgültig nicht mehr in Betrieb genommen werden kann. Schließlich ist unübersehbar, daß die Provokation, die Atomkraftwerksbetreiber mit den Transporten von abgebrannten Brennelementen in die Zwischenlager in Gorleben und Ahaus beabsichtigt hatten, in der Bevölkerung mehr und mehr Widerstand hervorruft. Die Nachlässigkeiten von Betreibern und Aufsichtsbehörden bei der Kontrolle der Verunreinigen an den Transportbehältern, mit denen Brennelemente in die Wiederaufarbeitunsanlagen in La Hague und Windscale geschafft werden, die seit Anfang Mai 1998 in der Öffentlichkeit bekanntgeworden sind, haben sich zu einem Skandal ausgewachsen.

Aus der KWU mußte lange Zeit jährlich von Personalabbau berichtet werden. Vorgezogener Ruhestand und Ausscheiden ohne Aussicht auf gleichartigen Arbeitsplatz wurden auch bei KWU Vokabeln, mit denen die Mitarbeiter sich vertraut machen mußten.

Die KWU wurde umbenannt zum Bereich Energieerzeugung. Die Abteilung für den Atomkraftwerksbau hielt sich nur mit Mühe mit Reparaturen und Wartungsaufträgen und erheblich geschrumpften Geschäftsaussichten in Osteuropa über Wasser. Nur der Auftrag für den Forschungsreaktor FRM II in Garching bei München hellte dieses Bild etwas auf. Inzwischen ist Siemens mit Elektronik für die Leittechnik an einem Neubau im russischen Atomkraftwerk Sosnovibor beteiligt.

Einen Ausweg suchte Siemens seit 1989 in der Zusammenarbeit mit Framatome, dem früheren französischen Staatsunternehmen für den Bau von Atomanlagen, das heute zu dem Mischkonzern GEC Alsthom gehört; Miteigentümer ist die Électricité de France (EdF), das ebenfalls staatlich kontrollierte französische Stromversorgungsunternehmen

Framatome war verantwortlich für die Errichtung der französischen militärischen Anlagen zur Plutoniumgewinnung für den Atombombenbau. Das Unternehmen hat auch alle 57 großen französischen Druckwasserreaktoren zur Stromproduktion gebaut. Zwischen 1977 und 1991 stellte es an zehn Standorten 38 Anlagen mit einer Leistung von je 900 Megawatt fertig. Von den ersten in Fessenheim bis zu den letzten in Cattenom entsprechen sie im wesentlichen dem gleichen Typ. Mit diesen Atomkraftwerken begann der massive Ausbau der Atomstromproduktion in Frankreich. Seit 1984 kam eine weitere ebenfalls untereinander gleiche Gruppe von 20 Atomkraftwerken mit einer Leistung zwischen 1300 und 1450 MW dazu, die als Typ N4 bezeichnet werden. Die letzten drei dieser Anlagen stellt das Unternehmen mit einem Atomkraftwerk in Chooz und zwei weiteren in Civaux noch fertig.

In den westlichen Industrieländern ist heute Framatome eins der wenigen Unternehmen, das noch praktisch mit dem Bau von großen Atomkraftwerken beschäftigt ist. Es stellt sich deshalb gern als der weltweit größte Hersteller von Atomreaktoren dar.

Noch im Jahr 1989 haben Siemens und Framatome eine gemeinsame Firma gegründet, die Nuclear Power International oder NPI, in der ihre jeweiligen Erfahrungen im Bau von Druckwasserreaktoren genutzt werden sollen. Der Zweck der NPI ist die Planung eines Reaktors, den die beiden beteiligten Unternehmen gemeinsam auf dem internationalen Markt anbieten wollen.

Die Ingenieure von KWU waren 1989 mit einem sogenannten "Planungsauftrag" für einen Druckwasserreaktor beschäftigt, mit dem die deutschen EVUs die Erhaltung der Sparte Reaktorbau bei KWU unterstützten. Daneben wird an einem Auftrag von RWE und HEW für das Projekt eines Siedewasserreaktors SWR 1000 gearbeitet. Das Konzept dafür beruht nicht auf der längst veralteten Bauweise der Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel, sondern auf den Erfahrungen mit dem jüngeren Typ der Baulinie `72, der in Philippsburg 2 und in Gundremmingen B und C gebaut worden ist. In unserer Abbildung 20 ist dieser Typ wiedergegeben.

Framatome bearbeitete zusammen mit EdF ein Projekt N4+, das als Weiterentwicklung der zuletzt in Frankreich gebauten Druckwasserreaktoren vom Typ N4 galt.

Ende 1991 beschlossen auch die EdF und die deutschen EVUs, ihre bisherigen jeweils eigenen Druckwasserreaktor-Projekte zu "harmonisieren". Sie wurden umgewandelt in einen gemeinsamen Auftrag an NPI, ein Anlagenkonzept zu entwickeln, das sowohl in Frankreich wie in der Bundesrepublik genehmigungsfähig sein soll. Das Projekt bekam die Bezeichnung European Pressurized Water Reactor oder EPR.

Siemens dürfte diese Beteiligung an der NPI als letzte Gelegenheit betrachten, mit Großaufträgen für den Bau ganzer Atomkraftwerke im Geschäft zu bleiben.

Beginn der öffentlichen Diskussion um das EPR-Projekt

In die öffentliche Aufmerksamkeit in der Bundesrepublik gerieten die Pläne von Siemens, als Anfang Dezember 1992 der "Entwurf für einen Energie-Konsens" bekannt wurde. Die FR publizierte am 5. Dezember den Brief und den Entwurf einer Vereinbarung, mit denen sich die Vorstandsvorsitzenden von RWE und Veba, Friedhelm Gieske und Klaus Piltz, in Abstimmung mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und dem Chef der IG Chemie Heinz Rappe am 23. November 1992 an Bundeskanzler Helmut Kohl gewendet hatten.

In dem Brief hieß es, aus verschiedenen Gesprächen habe man den Eindruck gewonnen, daß "die pauschale programmatische Forderung des "Kernenergie-Ausstiegs" auf ein geordnetes Auslaufen der heute genutzten Kraftwerke präzisiert und zugleich Kernenergie als eine Option für die langfristige Energiezukunft bei Weiterentwicklung der Kerntechnik sehr wohl akzeptiert werden könnte". Das Ziel einer Vereinbarung über langfristige Kernenergieoptionen sei "der geordnete Ausstieg bzw. Umstieg aus der heute genutzten LWR-Technik (LWR - Leichtwasserreaktor, Rd. der FR). Die Entscheidungsfreiheit zukünftiger Generationen für oder gegen die Kernenergienutzung soll jedoch offengehalten werden. Deswegen bleibt die Weiterentwicklung der Technologie wie andere Energieerzeugungsalternativen Gegenstand von Forschungs- und Technologiepolitik bleiben. Ein erneuter Einstieg in die Kernenergienutzung ... bedarf einer breiten politischen Mehrheit (z. B. mindestens einer Zweidrittel-Mehrheit des Bundestages)."

Wie weit es schon ein konkreteres Interesse am Bau von Atomreaktoren neuerer Art gab, ließ sich allerdings diesen Äußerungen nicht entnehmen.

Wenigstens wurde angedeutet, daß man sich der Feststellung aus dem Kalkar-Urteil von 1978 auch jetzt nicht entziehen konnte, daß eine Grundsatzentscheidung über die Zulässigkeit der Nutzung der Kernenergie zur Stromproduktion zu treffen allein Sache des Gesetzgebers ist.

Zur selben Zeit berichtete jedoch die Zeitschrift Wirtschaftswoche über das Projekt der NPI, den EPR. In der Nummer vom 11. Dezember 1992 war zu lesen: "Die Arbeiten sind nahezu abgeschlossen. 1995 sollen in Deutschland und Frankreich parallele Genehmigungsverfahren eingeleitet werden. Gleichzeitig beginnt die Detailplanung, die 1998 abgeschlossen sein soll. Dann könnte der Bau der ersten NPI-Anlagen beginnen". Zu den Sicherheitsanforderungen schrieb die Zeitschrift: "Die deutsch-französische Gemeinschaftsentwicklung soll die Umwelt auch dann nicht gefährden, wenn sehr unwahrscheinliche Stör- und Unfälle passieren, die heutige Anlagen nicht beherrschen. Deutlich verbessert wurden die Möglichkeiten, den heißen Reaktorkern nach einem schweren Störfall zu kühlen. Und wenn selbst das nicht reicht und der Kern schmilzt, sorgt eine Wanne aus hochwärmefester Keramik dafür, daß er sich nicht tief ins Erdinnere frißt. Große Mengen Wasser aus Tanks im tiefsten Punkt des sogenannten Containments, der kugelförmigen Sicherheitshülle, bedecken die höllische Schmelze. Noch in dieser außergewöhnlichen Situation bleibt Zeit zum Handeln: Ein paar Stunden hat die Bedienungsmannschaft, zusätzliche Gegenmaßnahmen zu organisieren, um katastrophale Folgen für die Umgebung zu verhindern."

Zudem solle dieser Reaktor nicht nur sicherer als die laufenden Anlagen werden, sondern auch noch billiger. Mit einer Leistung von 1500 MWe werde er konkurrenzfähig sein gegenüber modernen Steinkohlekraftwerken auf der Basis von Importkohle.

Bemerkenswert war daran der Tonfall: Man bekam den Eindruck, daß es keine Probleme mehr bis zum Bau dieses Reaktortyps gäbe.

Unter dem Stichwort "technologischer Fadenriß" fügten andere Stimmen hinzu, volkswirtschaftlich sei es nicht zu vertreten, das Know-how in einer Sparte, in der Deutschland führend sei, aufzugeben. Ein Verzicht auf die Kernkraft hätte schwerwiegende Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland auf dem internationalen Markt. Gelegentlich behaupteten Wirtschaftsvertreter sogar, dieser Reaktor sei "inhärent sicher".

In der Öffentlichkeit wurde das NPI-Projekt bereits wie eine ausgereifte technische Lösung dargestellt.

Das Bekanntwerden der Kernenergie-Konsens-Vorschläge löste umgehend eine heftige öffentliche Debatte aus, in der sich die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber der Atomtechnik geltend machte. Die Propaganda für das NPI-Projekt tat ein übriges, daß nun auch gefragt wurde, warum die Sicherheitsanforderungen, die der als Zukunftsreaktor angepriesene EPR erfüllen sollte, nicht auch an die derzeit betriebenen Atomkraftwerke gestellt würden.

Bei den Befürwortern rief das beträchtliches Unbehagen hervor.

Klaus Piltz, der damalige Vorstandsvorsitzende der Veba, reagierte darauf in der ZEIT vom 19.3.1993: " ... schrieb schon 1980 mein Vorgänger v. Bennigsen in der ZEIT, daß wir weder "mit der Macht des Kapitals" noch "mit den Truppen des Bundesgrenzschutzes" neue Kernenergie-Investitionen durchsetzen können noch wollen. Damals wie heute gilt in Sachen Kernenergie für die Veba: Nicht ein Unternehmen, sondern die Gesellschaft, die sie repräsentierenden und führenden Kräfte müssen im Konsens erkennen und entscheiden, was für die Zukunft unseres Landes erforderlich ist. ... Die Verantwortung für die Zukunft erfordert, daß nach dem planmäßigen Auslaufen der heutigen Kernkraftwerke die Option auf eine neue Kernkraftwerkstechnik gehören muß. ... Diese neue Kernkraftwerkstechnik muß die kritischen Fragen an die heutige Technik politisch und gesellschaftlich akzeptabel beantworten. Dazu gehört auch, daß diese neue Technik bezahlbar, also gleichermaßen gesamtwirtschaftlich verkraftbar wie betriebswirtschaftlich berechenbar bleibt oder wieder wird. .... Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Verantwortung für die langfristige Sicherung der Versorgung mit Energie nicht unmittelbar in einen Zusammenhang gebracht werden muß mit der kontroversen politischen Diskussion über die bestehenden Kernkraftwerke. Diese getätigten Investitionen haben Bestandsschutz im Rahmen ihrer Betriebsgenehmigung, solange sie geprüfte technische Sicherheit besitzen."

Die Irritationen in den Kreisen der Atomwirtschaft kamen auch während der Jahrestagung Kernenergie deutlich zum Ausdruck, die im Mai 1993 in Köln stattfand. Man fühlte sich gar nicht glücklich über die Neugier der Öffentlichkeit. Siemens mußte erklären, zusammen mit den französischen Partnern definiere man zur Zeit erst die "sicherheitstechnischen Grundlinien" des neuen Reaktors. Von der KWU wurde die Forderung gestellt, die Politik müsse die Genehmigungsfähigkeit der Sicherheitskriterien für den zukünftigen Reaktortyp absegnen. Ein Vertreter des Bayernwerks, das über die Jahre hin immer daran festgehalten hatte, es werde auch in Zukunft Atomkraftwerke bauen, äußerte seinen Ärger darüber, daß "wir so viel über einen Reaktor reden, den wir noch gar nicht kennen". Zwar müsse die Beherrschung der Kernschmelze weiter das Ziel sein, aber wie das technisch zu machen sei, könne man noch nicht sagen.

Für die Reaktorbauer bei Siemens wie für die als Auftraggeber infrage kommenden EVUs war die öffentliche Auseinandersetzung sichtlich zur Unzeit gekommen.

Bürgerinitiativen gegen den EPR

Das Bayernwerk hatte immer daran festgehalten, es werde 1995 einen Genehmigungsantrag für ein weiteres Atomkraftwerk stellen. Es forderte nun dafür ein standortunabhängiges Genehmigungsverfahren. Das machte die Anti-AKW-Initiativen hellhörig, die sich schon mit dem standortunabhängigen Genehmigungsverfahren für den HTR-Modul hatten auseinandersetzen müssen.

Einige andere Bürgerinitiativen, die die Planungen aufmerksam verfolgen, haben auch schon Hinweise auf mögliche Standorte für den EPR gesammelt. In der Bundesrepublik kommen dafür in erster Linie Orte in Bayern infrage. Genannt wird von den Initiativen z.B. schon lange Viereth am Main, in der Nähe des AKW Grafenrheinfeld. Dort sind seit Jahren Vorbereitungen für den Bau eines Großkraftwerks im Gange. Ein anderer Ort ist Marienberg bei Rosenheim am Inn, das auch als Standort für den HTR-Modul schon im Gespräch war.

Anfang Juli 1998 hat der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber auf einer Versammlung in Rosenheim überraschend angekündigt, mit absoluter Sicherheit würde in Bayern kein zusätzliches Atomkraftwerk gebraucht. Als Grund wurde genannt, daß sich durch Energieeinsparungen und die Liberalisierung des europäischen Strommarktes der Bedarf an Atomstrom verändert habe. Es dürfte auch dahinterstecken, daß das Bayernwerk mit dem Bau von Braunkohlekraftwerken in den östlichen Bundesländern die Verpflichtung übernommen hat, vorrangig den dort produzierten Strom abzusetzen. Außerdem hat die ÖDP (Ökologisch- Demokratische Partei) in Bayern innerhalb kurzer Zeit erfolgreich die notwendige Zahl von Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt mit dem Ziel, keine neuen Atomkraftwerke in Bayern zuzulassen. Der CSU drohte damit eine Volksabstimmung über ein sehr heikles Thema.

Am 14. Juli 1998 hat die Bayerische Landesregierung einen neuen Entwurf für den Standortsicherungsplan für Großkraftwerke beschlossen. Fünf ursprünglich geplante Standorte für Atomkraftwerke sollen gestrichen werden. Nach der Landtagswahl am 13. September 1998 soll der Entwurf dem Parlament vorgelegt werden.

Mit Nachdruck tritt aber die Landesregierung jeder Vermutung entgegen, Bayern bereite damit den Ausstieg aus der Atomkraft vor; die zur Zeit betriebenen Atomkraftwerke würden bestehen bleiben.

Auch für Lubmin bei Greifswald, wo nach 1989 zunächst der Bau einer Konvoi-Anlage geplant war, wird der Bau eines EPR propagiert. Diese Pläne unterstützte auch die bisherige Bundesumweltministerin Angela Merkel.

Als Standort für einen EPR in Frankreich wird Fessenheim genannt. Dort wäre auf dem Grundstück der bereits bestehenden Atomstrom-Zentrale noch Platz für eine weitere Anlage. Auch andere Standorte, an denen Atomanlagen in Betrieb sind, könnten infrage kommen. EdF suchte aber zur Errichtung des ersten EPR einen Standort, an dem noch keine Atomanlage betrieben wird, in der Hoffnung, dort würde sie nicht mit ernstzunehmendem Widerstand aus der Bevölkerung konfrontiert. Sie stellte daher den Antrag, in Le Carnet, einem naturschutzwürdigen Niederungsgebiet im Mündungsbereich der Loire unterhalb von Nantes, einen Bauplatz für ein Großkraftwerk herrichten zu können. Dort haben sich örtliche Initiativen, Umweltverbände, Mitglieder der französischen Grünen Partei und einige Kommunen zu einem Bündnis gegen EdF zusammengefunden. Sie hatten im Mai 1997 mit einer Klage vor Gericht gegen EdF Erfolg. EdF hatte die EU-Anforderungen an eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erfüllt. Im September 1997 verkündete die Regierung Jospin das Aus für den Standort bei Nantes.

Die Türkei hat einen internationalen Wettbewerb ausgeschrieben für einen Druckwasserreaktor, der an der Mittelmeerküste an der Bucht von Akkuyu in der Nähe der Stadt Silifke gebaut werden könnte. Pläne dafür gibt es seit mehr als 25 Jahren. Die türkische Regierung behauptet, der Energiebedarf des Landes wachse pro Jahr bis zu 8 %. Ohne die Nutzung der Atomenergie sei es nicht möglich, die zusätzlich erforderlichen Kapazitäten bereitzustellen. Daß hier noch kein Atomkraftwerk gebaut wurde, liegt vor allem an massiven Protesten der örtlichen Bevölkerung. Unterstützt wurde sie zum Beispiel von der türkischen Kammer der Elektroingenieure EMO, die eine effektivere Energienutzung, eine Modernisierung des Leitungsnetzes und bessere Wartung der bestehenden Kraftwerke für einen sinnvolleren Weg für die Energiepolitik hält. Zudem verläuft nur 25 km vor Akkuyu eine geologische Bruchzone im Meer, an der verheerende Erdbeben ausgelöst werden könnten.

Technische Vorschläge des KfK zur Berücksichtigung des neuesten Standes von Wissenschaft und Technik bei der Bewältigung der Kernschmelzphänomene

In Fachkreisen war das NPI-Projekt erst recht nicht unbekannt geblieben. In die entstehende interne Diskussion griff im Januar 1993 eine Gruppe von Wissenschaftlern aus dem KfK ein. In derselben Ausgabe der KfK-Nachrichten, in der sie so wichtige Aussagen über die Folgen von Kernschmelzunfällen gemacht hatten, veröffentlichten sie Überlegungen für technische Lösungen, mit denen den neuen Sicherheitsanforderungen möglicherweise Genüge getan werden könnte.

Die KfK-Autoren gingen davon aus, ein zukünftiger Druckwasserreaktor werde eine Leistung von 1500 MWe haben. Dieser wäre somit dem geplanten EPR vergleichbar.

Sie waren also schon von den Anforderungen der "inhärenten Sicherheit" und "geringen Leistungsdichte" abgewichen, die Bundesumweltminister Töpfer im Sommer 1991 für Neubauvorhaben genannt hatte.

Mit den Vorschlägen zur technischen Bewältigung des Problems der Kernschmelze mit schwerwiegenden Folgen verbanden die Autoren einige Aussagen zum neuesten Stand von Wissenschaft und Technik.

Sie betonten, "daß das Risiko von Unfällen mit großer Freisetzung an Radioaktivität, aber sehr kleiner Eintrittshäufigkeit nicht vernachlässigbar gegenüber Unfällen mit größerer Eintrittshäufigkeit und geringerer Radioaktivitätsfreisetzung". (Kursivsetzung durch KfK). Sie hielten es also nicht für vertretbar, die Formel vom "äußerst unwahrscheinlichen Ereignisfall" zu verwenden, die von Kernenergiebefürwortern immer noch so gern benutzt wird, um die Folgen schwerer Kernschmelzunfälle als zumutbar für die Bevölkerung hinzustellen.

Sie wiesen auch auf einen der Mängel der gängigen Definition Risiko = Eintrittshäufigkeit x Unfallkonsequenzen hin. Wenn man nämlich unter "Unfallkonsequenzen" nur "das Eintreten einer Evakuierung (bzw. entsprechend: einer Umsiedlung)" ansieht, wird "die unter Umständen lange Dauer einer solchen Maßnahme ... dabei nicht berücksichtigt". Damit wird ja auch ausgeblendet, mit was für weitreichenden Beeinträchtigungen für die Betroffenen diese Maßnahmen verbunden sein können.

In einer Anmerkung erwähnten sie, daß schon 1991 von Birkhofer, dem Geschäftsführer der GRS, einem namhaften Atomenergie-Befürworter, die Auffassung vertreten wurde, "daß die heutige Sicherheitstechnik nach Einführung des Konzeptes der anlageninternen Notfallmaßnahmen einen Stand erreicht, bei dem durch die zusätzliche Einführung redundanter und diversitärer Sicherheitskomponenten die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von Kernschmelzen und seiner Nachfolge-Unfallszenarien kaum mehr weiter abgesenkt werden kann."

Sie beriefen sich darauf, daß in den vergangenen Jahren "verstärkt von Politikern und Forschung gefordert und von der Industrie aufgegriffen" wurde, "daß zukünftige Reaktoren wegen der schwerwiegenden Konsequenzen bei einem Kernschmelzunfall eine weitere zusätzliche Qualitätsstufe an Sicherheit haben sollten. Als neues Sicherheitsziel wird definiert: Bei zukünftigen Druckwasserreaktoren soll selbst bei einem Kernschmelzunfall und Folge-Unfallszenarien keine Evakuierung der Bevölkerung außerhalb der Reaktoranlage erforderlich sein." Als Belege für die Übereinstimmung in diesem Punkt nannten sie "Das energiepolitische Gesamtkonzept der Bundesrepublik - Energiepolitik für das vereinte Deutschland" des Deutschen Bundestages vom 11. Dezember 1991, einen eigenen Aufsatz in der atw Nr.5 von 1992 und einen weiteren Artikel von W. Bürkle von der KWU im selben Jahrgang der atw in Nr. 8/9.

Sie führten aus, was dieses Ziel bedeutet, daß nämlich "eine größere Radioaktivitätsfreisetzung - die notwendigerweise zur Evakuierung führen müßte - aus dem Sicherheitsbehälter nicht mehr stattfinden darf; d.h. auch bei den im vorhergehenden Beitrag beschriebenen Unfallszenarien darf der Sicherheitsbehälter nicht mehr versagen." (Hervorhebung durch BIU).

Damit hatten sie ihre Position zum neuesten Stand von Wissenschaft und Technik beschrieben: Sich abzeichnende Bestrebungen, unter Zuhilfenahme einer behaupteten Perfektionierung der Not- und Nachkühlsysteme noch geringere Werte für die Eintrittswahrscheinlichkeit für schwere Kernschmelzunfälle zu errechnen, sind nicht hinnehmbar. Allein die Verwirklichung des hochgesteckten Ziels, einen Sicherheitsbehälter zu bauen, der auch den größten Belastungen aus Kernschmelzphänomenen standhalten könnte, könnte die heutigen Anforderungen an die Sicherheit von neu zu bauenden Atomkraftwerken erfüllen.

Um vorzuführen, daß es konstruktive Maßnahmen zur Verwirklichung dieses Ziels geben könnte, stellten sie einige Resultate ihrer Forschungsarbeiten vor.

Man verläßt sich nicht darauf, daß mit den sogenannten "AM-Maßnahmen" erfolgreich eine Druckabsenkung im Sicherheitsbehälter erreicht werden kann, sondern berücksichtigt die hohen Rückstoßkräfte beim Versagen des Reaktordruckbehälters. Sie sind in Abbildung 29 dargestellt.

Abbildung 29. Die Rückstoßkräfte, die beim Hochdruckkernschmelzen den oberen Teil des Reaktordruckbehälters aus seiner Aufhängung reißen, sind hier mit breiten hohl gezeichneten Pfeilen dargestellt

Abbildung 30 zeigt den Wandaufbau für ein Containment, das den Belastungen standhalten soll, die bei den verschiedenen Kernschmelzphänomenen auftreten können.

Abbildung 30. Wandaufbau für ein Containment, das auch schwersten Belastungen bei Kernschmelzunfällen standhalten soll

Es besteht zunächst wie bei den zuletzt gebauten deutschen Atomkraftwerken aus einer äußeren Betonschale von etwa 2 m Dicke, die die Belastungen aus Einwirkungen von außen - wie Flugzeugabsturz oder Explosionsdruckwelle - aufnehmen kann.

Mit dieser Schale sind innen Stahlprofile verbunden, zwischen denen zylindersegmentförmige Kühlkästen angebracht sind. Auf der Innenseite des Containments sind diese Stahlkästen zu einem dichten Liner verschweißt, der dem stählernen Sicherheitsbehälter der bisherigen Bauweise entspricht. Eine zweite innere Betonschale soll aus Betonfertigteilen bestehen, die über die Stahlprofile gegen die äußere Betonschale abgestützt werden, so daß zwischen ihnen und dem Liner Hohlräume entstehen.

Bei dieser Konstruktion würde die innere Betonschale als Splitterschutz für den Sicherheitsbehälter gegen herumfliegende Bruchstücke funktionieren, mit denen man beim Durchschmelzen des Reaktordruckbehälters beim Hochdruckkernschmelzen oder bei Dampfexplosionen rechnen muß. Die bei einer Wasserstoffexplosion auftretenden sich schnell fortpflanzenden Druckwellen würden reflektiert. Der Liner mit den in ihn integrierten Kühlkästen soll sich bei Druckbeanspruchung gegen die äußere Betonwand abstützen können. Bei langsamem Druckaufbau im Sicherheitsbehälter, wie er infolge einer Wasserstoffverbrennung oder beim Dampfdruckaufbau aus der Nachwärme beim Kühlmittelverlust aus einem großen Leck erfolgt, soll das radioaktive Gasgemisch aus dem Sicherheitsbehälter durch Öffnungen in den Stahlprofilen in die Hohlräume zwischen den beiden Betonwänden einströmen können. Durch einen Luftstrom, der sich infolge von Naturkonvektion in den Kühlkästen und dem Kamin bildet, soll der Liner gekühlt und die Nachwärme aus dem Inneren des Sicherheitsbehälters abgeführt werden können. Die Radioaktivität, die unvermeidlich als Leckage den Liner durchdringt, soll auf demselben Wege durch ein großes Filter über den Kamin geführt werden. Bei Bedarf könnte auch Wasser von oben über den Liner geleitet werden, um die Kühlleistung zu erhöhen.

In Abbildung 31 ist der gesamte Aufbau für einen Sicherheitsbehälter für zukünftige Druckwasserreaktoren als Konzeptvorschlag schematisch dargestellt. Man sieht die beiden Betonschalen und die Stahlschale, die Luftkühlung im Zwischenraum zur Nachwärmeabfuhr und das Filter mit seiner Verbindung zum Kamin.

Die hohen Rückstoßkräfte, die unter den Bedingungen des Hochdruck-kernschmelzens Bedingungen beim Versagen des Reaktordruckbehälters auftreten, sollen durch eine wesentlich verstärkte Tragekonstruktion des Reaktordruckbehälters aufgefangen werden, um die Geschoßwirkung und das Durchbrechen des Sicherheitsbehälters zu verhindern. Mit einer zusätzlichen Halterung oberhalb des Reaktordruckbehälters soll gewährleistet werden, daß der Behälter in seiner ursprünglichen Lage bleibt.

Außerdem ist unterhalb vom Reaktordruckbehälter noch ein sogenannter Kernfänger gezeigt. Mit dieser Vorrichtung soll der geschmolzene Reaktorkern vorm Durchschmelzen durch das Fundament zurückgehalten werden.

Abbildung 31. Gesamtaufbau eines Sicherheitsbehälters, der den heutigen Anforderungen genügen könnte

Ob eine solche Containment-Anordnung in jedem Fall den Beanspruchungen aus einem schweren Reaktorunfall widerstehen könnte, darüber haben die Autoren keine Aussage gewagt.

Die Versuche aus dem KfK, zur Verminderung der Folgen von schweren Kernschmelzunfällen neue Konstruktionsvorschläge zu machen, unterstreichen noch einmal, daß die derzeit in der Bundesrepublik betriebenen Atomkraftwerke den heutigen Sicherheitsanforderungen nicht genügen.

Nachdem kurz zuvor schon so großspurig Propaganda für den EPR gemacht worden war, sah sich das KfK bei der Veröffentlichung seiner eigenen Vorschläge zu versteckter Distanzierung veranlaßt: Sie selbst hätten noch kein technisches Design vorgelegt, sondern lediglich konzeptuelle Überlegungen angestellt.

Die Forderungen aus dem KfK mußten bei den Förderern des Projekts der NPI peinliche Empfindungen hervorrufen. Denn durch sie wurde die Behauptung in Frage gestellt, es könnte gelingen, einen neuen Druckwasserreaktor zu bauen, der zugleich die Forderung der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen modernen Kraftwerkstypen wie auch den Stand von Wissenschaft und Technik erfüllt.

Partner deutsche und französische Genehmigungsbehörden: Der Deutsch-Französische Direktionsausschuß (DFD)

Ursprünglich hatte man bei NPI geplant, daß bis Ende 1992 das "conceptual design", das technische Konzept für den EPR, fertiggestellt würde. In den Jahren 1993 und 1994 sollten die Unterlagen erarbeitet werden, die für die Detailplanung der Gebäude, Anlagenteile und technischen Systeme erforderlich sind. Je ein Standort für den Bau eines Reaktors in Frankreich und in der Bundesrepublik sollte 1994 festgelegt werden, so daß 1995 ein Genehmigungsantrag gestellt werden könnte. Der Bau sollte ums Jahr 2000 beginnen können.

Zu dem Zeitpunkt, als die KfK-Gruppe ihre Konzeptvorschläge vorstellte, waren aber die Arbeiten bei Siemens und Framatome noch kaum vorangekommen.

Es gab da ein Problem: Großtechnische Anlagen, zu denen auch Atomkraftwerke gehören, können heute auf dem internationalen Markt nur noch angeboten werden, wenn potentielle Käufer in dem Herstellerland eine funktionsfähige Anlage besichtigen können. Es wäre daher für die beiden Herstellerfirmen Siemens und Framatome ein Vorteil, wenn NPI einen Reaktor des Typs EPR in der Bundesrepublik oder in Frankreich bauen könnte, der als Referenzanlage vorführbar wäre. Ehe aber eine Anlage gebaut werden kann, muß sie erst genehmigt werden.

Zunächst mußte deshalb die Genehmigungsfähigkeit des neuen Reaktors abgesichert werden.

Dieser Aufgabe nahmen sich die Genehmigungsbehörden beider Staaten an. Sie sahen es schon früh als erforderlich an, sich über die Genehmigungsanforderungen für den EPR auch untereinander zu verständigen. Darum wurde schon 1989/1990 eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebildet, der Deutsch-französische Direktionsausschuß (DFD). Er besteht auf der deutschen Seite aus Vertretern des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) und der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und auf der französischen Seite aus Vertretern der Genehmigungsbehörde Direction de Sûreté Installation Nucláire (DSIN) und der Gutachterorganisation Institut de Protection et de Sûreté Nucléaire (IPSN). Dazu kommen die Reaktorsicherheitskommission (RSK) und der Groupe Permanent chargé des Réacteurs nucléaires (GPR) als Beratergremien. Auch der Technische Überwachungsverein (TÜV) befaßt sich mit den Sicherheitsproblemen und der Auslegung des EPR

Abbildung 32. Deutsch-französischer Direktionsausschuß DFD, Organisationsschema

Der Direktor der DSIN André-Claude Lacoste drückte das so aus: "Es ist das erste Mal, daß zwei Länder, Deutschland und Frankreich, die im Bereich der Kerntechnik über starke und anerkannte Traditionen, Know-How und Industrie verfügen, beschließen, ihre Anstrengungen für ein Reaktorprojekt zusammenzulegen. So haben sich die deutschen Stromversorgungsunternehmen und EdF, Siemens und Framatome, die Sicherheitsbehörden BMU (Deutschland) und DSIN (Frankreich) sowie ihre Gutachterorganisationen GRS und IPSN zu einer Art der Zusammenarbeit zusammengefunden, die zu gemeinsamen Positionen und Entscheidungen führt."

Abbildung 33. EPR: Beziehungen zwischen den Herstellerfirmen und den Stromproduktionsunternehmen

In der Bundesrepublik und in Frankreich gab es bisher erhebliche Unterschiede in den Sicherheitsanforderungen, die den Genehmigungen für Atomkraftwerke zugrundegelegt werden. Deshalb unterscheiden sich auch die Druckwasserreaktoren, die Siemens und Framatome zuletzt gebaut haben, in vielen technischen Einzelheiten. Die Folge davon war, daß es bei Framatome und Siemens über viele der zu lösenden Probleme sehr unterschiedliche Vorstellungen gab. Von Anfang an spielte dabei die Kernschmelzdiskussion eine Rolle, die es in der Bundesrepublik seit langem gibt, während sich die französische Atomwirtschaft davon nicht berührt zu fühlen brauchte.

Auch die deutschen und die französischen Aufsichts- und Genehmigungsbehörden vertraten voneinander abweichende Ziele.

Im Dezember 1992 faßte der DFD den Beschluß, für die Sicherheit zukünftiger Kernkraftwerke einen gemeinsamen deutsch-französischen Ansatz anzustreben. Die Hersteller, die von den Ergebnissen des DFD abhängig waren, konnten zu diesem Zeitpunkt also auch erst die Anfangsschritte auf dem Weg für das Projekt machen.

Erst im Juni 1993 waren im DFD gemeinsame Empfehlungen herausgegeben worden. Sie wurden im November 1993 im Bundesanzeiger veröffentlicht. NPI und die Betreibergesellschaften antworteten darauf mit eigenen Vorschlägen, die aber noch nicht vollständig mit denen des DFD zur Deckung zu bringen waren. Das ist verständlich, wenn man sich die Unterschiede in den Interessenlagen klarmacht: Für die Betreiber sind vorwiegend wirtschaftliche Fragen von Bedeutung; ihre sicherheitstechnischen Überlegungen gehen deshalb vor allem in Richtung auf möglichst hohe Arbeitsausnutzung der Anlagen. Dagegen können die Behörden ihre Verpflichtungen gegenüber den Sicherheitsansprüchen der Bevölkerung nicht gänzlich außer acht lassen.

Dann war 1994 im deutschen Atomgesetz die Forderung verankert worden, daß es bei einer Kernschmelze nicht zu schwerwiegenden Folgen für die Bevölkerung kommen darf. Seither kamen auch die französischen Planer um diese Forderung nicht mehr herum, die es anfangs reichlich viel verlangt fanden, wenn die deutschen Vertreter ihre Berücksichtigung erwarteten.

Nach einem langwierigen Verhandlungsprozeß der gemeinsamen Beratungsgremien kam es schließlich im Januar 1995 zu einer Übereinkunft der Sicherheitsbehörden, in der die Anforderungen an den zukünftigen Druckwasserreaktor formuliert waren. Die Auslegung des EPR auf dieser Basis soll seine Genehmigung in beiden Ländern sichern, ohne daß noch weitere Anpassungen an die jeweiligen Genehmigungsvoraussetzungen nötig würden.

Die Übereinkunft des DFD kam gerade rechtzeitig vor der Unterzeichnung des Vertrages zwischen den Betreibern und NPI zur Durchführung des "Basic Design". Das war endlich das Startsignal für den Beginn des Planungsprozesses.

Es begann nun eine eher heiklere Phase, weil zu detaillierteren technischen Fragen gemeinsame Positionen zwischen dem DFD und NPI noch immer nicht gefunden waren.

Bis Ende Juni 1997 sollten die Arbeiten am Basic Design durchgeführt werden. Als Ergebnis sollte ein vorläufiger Sicherheitsbericht vorgelegt werden, der in beiden Staaten die Grundlage für den Genehmigungsprozeß bilden soll.

Der Mischkonzern Viag, in den das Bayernwerk heute als Tochtergesellschaft integriert ist, kündigte im Juli 1995 als Vertreter der zukünftigen Auftraggeber an, nach der Fertigstellung des Sicherheitsberichts werde in zwei süddeutschen Bundesländern ein standortunabhängiges Genehmigungsverfahren beantragt.

Die Empfehlungen des DFD zur Bewältigung der Kernschmelzproblematik durch den EPR

Man wollte nun auch berücksichtigen, daß inzwischen die Öffentlichkeit die Entwicklung des EPR mit großem Interesse verfolgt. Deshalb haben DSIN und BMU ein Dossier herausgegeben, das in der Bundesrepublik im September 1995 unter dem Titel "Die Sicherheit der zukünftigen Kernkraftwerke mit Druckwasserreaktoren - Das EPR-Projekt" als Information des Bundesumweltministeriums herausgegeben wurde.

Im Vorwort ist zu lesen, daß darin "der Standpunkt ... der französischen Sicherheitsbehörde ... privilegiert wird". Gegenüber dem deutschen Publikum empfand man das aber anscheinend als zu provokativ, denn es wurde unmittelbar angefügt, daß "genauer gesagt der Standpunkt der französischen und deutschen Sicherheitsbehörden privilegiert wird". Auch die Betreiber und die Hersteller kommen in der Broschüre zu Wort. Um der Ausgewogenheit willen wurden auch Äußerungen einer Vertreterin einer französischen kritischen Wissenschaftlergruppe aufgenommen.

Hier findet man ein Kapitel, in dem die Anforderungen formuliert sind, die der DFD für den EPR erarbeitet hat.

Uns stellt sich die Frage, wie sich die Vertreter der Genehmigungsbehörden, die dem DFD angehören, mit der Forderung des Bundesverfassungsgerichts von 1978 zum Schutz des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit auseinandersetzen: "Es muß diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. Läßt sie sich technisch noch nicht verwirklichen, darf die Genehmigung nicht erteilt werden; die erforderliche Vorsorge wird mithin nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt."

Schon 1993 war man sich in einigen wichtigen Punkten einig. Man hielt auch 1995, nach dem Inkrafttreten des neuen § 7, Abs. 2a des Atomgesetzes, an ihnen fest.

Die Notwendigkeit einer nennenswerten Verbesserung der Auslegung der zukünftigen Atomkraftwerke (deren Bau Anfang des nächsten Jahrzehnts als sicher angenommen wird) wurde bestätigt.

Das bedeutete aber nicht, daß man der Forderung von Bundesumweltminister Töpfer von 1991 zu folgen bereit war. Man hatte sich vielmehr endgültig eindeutig auf einen "evolutionären" Ansatz für diese Atomkraftwerke festgelegt. Es handelt sich nur noch um eine Entwicklung in Bezug auf die bestehenden Atomkraftwerke der gleichen Bauart in Frankreich und der Bundesrepublik, bei der die aus dem Betrieb gewonnenen Erfahrungen in Verbindung mit einer bedeutenden Verbesserung des Containments Berücksichtigung finden sollen.

Was man sich darunter vorzustellen hat, sind insbesondere drei Punkte:

  1. die nennenswerte Reduzierung der Wahrscheinlichkeit einer Kernschmelze
  2. der "Ausschluß" von bestimmten Unfällen
  3. die Bedeutende Reduzierung der radioaktiven Freisetzungen durch andere Unfälle

Es soll eine nennenswerte Reduzierung der Wahrscheinlichkeit einer Kernschmelze erreicht werden "durch Reduzierung der Eintrittshäufigkeit von Ereignissen, die zu solch einer Situation führen könnten, durch verbesserte Auslegung in Hinblick auf Mehrfachausfälle aufgrund derselben Ursache sowie menschlicher Fehler."

Dieser Punkt wird ergänzt: "Die angestrebte Reduzierung der Wahrscheinlichkeit einer Kernschmelze erfordert für die Sicherheitssysteme eine Verbindung von Redundanz (Vorhandensein von mehreren identischen Systemen, um dieselbe Funktion auszuführen) mit Diversifizierung (Vorhandensein von unterschiedlichen Mitteln). Probabilistische Ziele können als Richtwerte für die Definition hierfür festgelegt werden". Es heißt weiter: "In jedem Fall ist eine probabilistische Analyse der Sicherheit schon in der Planungsphase durchzuführen, um entsprechende Weichenstellungen zu ermöglichen."

Das muß übersetzt werden und bedeutet dann, daß die Ergebnisse der Untersuchungen zur Versagenswahrscheinlichkeit von Komponenten abgewartet werden sollen, um daraus Schlußfolgerungen für spätere Planungsentscheidungen abzuleiten.

Zum nächsten Punkt heißt es: Erreicht werden soll der "Ausschluß" von Unfällen, die kurzfristig zu einem Versagen des Containments führen könnten mit Hilfe von geeigneten Auslegungsmaßnahmen. Dies betrifft zum Beispiel die Kernschmelzunfälle auf dem Hochdruckpfad (die beim Versagen des Reaktordruckbehälters zu einer plötzlichen Energiefreisetzung des geschmolzenen Brennstoffs führen könnten)".

Auch zu diesem Punkt findet sich eine Ergänzung: "Der "Ausschluß" von Unfällen, die kurzfristig zu einem Versagen des Containments führen können, ist eine Beurteilungsfrage". Jeder Unfalltyp sei einzeln zu prüfen.

Es sind ja außer dem Hochdruckkernschmelzen noch andere Unfallabläufe zu beachten, die kurzfristig zum Versagen des Containments führen können. Dazu gehören die Wasserstoffexplosion und die Dampfexplosion.

Aber um diese Vorgänge soll es hier anscheinend gar nicht gehen, sondern es "setzt insbesondere der Ausschluß von Kernschmelzunfällen auf dem Hochdruckpfad voraus, daß die Nachwärmeabfuhr über das Sekundärsystem sowie die Stromversorgung ausreichend zuverlässig sind. Im letzteren Fall muß der Planer den Einsatz von speziellen Stromquellen für die Gewährleistung von Funktionen wie die Nachwärmeabfuhr, die Gewährleistung der Dichtheit der Hauptkühlmittelpumpen-Dichtungen und die notwendige Instrumentierung zur Gewährleistung des sicheren abgeschalteten Zustands des Reaktors prüfen."

Einem halbwegs aufmerksamen Leser muß auffallen, daß das Wort "Ausschluß" an beiden Stellen im Text von den Autoren selbst, Mitgliedern des DFD, in Anführungszeichen gesetzt ist. Es muß damit eine eigene Bewandtnis haben.

Die Unfälle, die kurzfristig zum Versagen des Sicherheitsbehälters führen können, machen bekanntlich nach den Ergebnissen der DRS-B 97% aller Kernschmelzunfälle aus. Es ist daher kein Wunder, daß man sich über sie Gedanken macht. Wir erinnern daran, daß es sich bei den genannten Hochdruck-Kernschmelzunfällen im Klartext um die handelt, bei denen man mit dem Durchschlagen des Sicherheitsbehälters durch den raketenartig herausfliegenden Reaktordruckbehälter und besonders schwerwiegenden Folgewirkungen rechnen muß.

Man erwartet, hier Aussagen zu finden, wie das Containment beschaffen sein soll, damit es den hohen Belastungen eines solchen Unfalls standhalten könnte. Nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen wäre nur auf diesem Wege die Vorsorge gegen die Schäden durch Hochdruckkernschmelzen zu verwirklichen.

Aber man wird darauf hingeführt, daß es dem DFD hier um eine Beurteilungsfrage geht. Was dabei beurteilt werden soll, wird ja auch gleich ausgesprochen. Es geht um die Ausfallwahrscheinlichkeit der Nachwärmeabfuhr über das Sekundärsystem und der Stromversorgung, also allein um die schon anfangs hervorgehobene Reduzierung der Eintrittswahrscheinlichkeit einer Kernschmelze.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang, daß diese Systeme ausreichend zuverlässig sein sollen? Eine absolute Zuverlässigkeit von technischen Systemen kann nicht erreicht werden. (Man hat da sofort den von Befürwortern so gern angeführten Satz im Ohr: "Absolute Sicherheit ist nicht zu erreichen".) Auf diesem Wege ist das Eintreten eines Unfalls mit Hochdruckkernschmelzen nicht auszuschließen.

Ihrem Inhalt nach gehören diese ersten beiden Punkte also zusammen. Es geht darum, eine möglichst geringe Eintrittswahrscheinlichkeit für das Kernschmelzen unter hohem Druck zu errechnen und mit dem Ergebnis den "Ausschluß" zu begründen.

Zum dritten Punkt wird gefordert: "Bedeutende Reduzierung der radioaktiven Freisetzungen durch andere Unfälle, einschließlich der Kernschmelzunfälle".

Nach dem Vorausgehenden betrifft dies aber nicht mehr die Kernschmelzunfälle mit frühzeitiger Zerstörung des Containments. Das wird auch sogleich bestätigt. Denn es "soll das Containment insbesondere dafür ausgelegt werden, radioaktive Stoffe bei Kernschmelzunfällen auf dem Niederdruckpfad so einzuschließen, daß die Auswirkungen dieser Unfälle räumlich und zeitlich nur sehr begrenzte Schutzmaßnahmen erfordern. Unter sehr begrenzten Schutzmaßnahmen werden verstanden, keine Umsiedlung, keine Notevakuierung außerhalb der direkten Umgebung des Kernkraftwerkes, begrenztes Verbleiben in Häusern und keine langfristigen Einschränkungen für den Nahrungsmittelkonsum."

Dem dritten Punkt ist zuzuordnen: "Bei Unfällen ohne Kernschmelzen (z.B. Bruch einer Hauptkühlmittelleitung) muß das Ergreifen von Schutzmaßnahmen für die in der Nähe des betroffenen Kernkraftwerks lebende Bevölkerung entbehrlich sein (d.h. keine Evakuierung, keine Anordnung des Verbleibens in den Häusern)."

Bemerkenswert ist, daß nur bei diesem Punkt Bezug genommen ist auf Anforderungen wie die nach § 7 Abs. 2a AtG, daß "einschneidende Maßnahmen zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen außerhalb des abgeschlossenen Geländes der Anlage nicht erforderlich" sein sollen.

Man weicht aber für Niederdruck-Kernschmelzunfälle von dieser Forderung ab. Man führt mit der "direkten Umgebung des Kernkraftwerkes" einen neuen Begriff für die Begrenzung des Bereichs ein, in dem keine Evakuierung erforderlich sein soll. Man entfernt damit diese Grenze von dem "abgeschlossenen Gelände der Anlage", die im Atomgesetz genannt ist.

Bekanntlich sind die Bedingungen für Schutzmaßnahmen in den Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz festgelegt. Dabei spielt die Definition der Umgebung der Anlage eine wichtige Rolle. Die Umgebung ist in mehrere Zonen zu unterteilen. Die innere Zentralzone, die die Anlage unmittelbar umschließt, sollte einen Abstand bis zu 2 km von der Anlage haben. Sie reicht bei Atomkraftwerken erheblich über das abgeschlossene Gelände der Anlage hinaus. Die Mittelzone, auf die auch heute die Planung von Katastrophenschutzmaßnahmen für die Bevölkerung beschränkt ist, bildet einen Kreis von 10 km Radius. Was verbirgt sich hinter der Formulierung "direkte Umgebung des Kernkraftwerkes"? Sollen für Orte, die in 2 km oder 10 km Nähe in der Umgebung eines EPR lägen, doch noch einschneidende Maßnahmen des Katastrophenschutzes erforderlich sein?

Begrenztes Verbleiben in Häusern wird zugelassen, ohne daß gesagt wird, in welchem Bereich dies möglich sein soll. Zwar sollen langfristige Einschränkungen für den Nahrungsmittelkonsum vermieden werden, damit sind kurzfristige Verzehrverbote nicht ausgeschlossen.

In einem weiteren Punkt fordert der DFD, daß "radiologische Auswirkungen der Kernschmelzunfälle auf dem Niederdruckpfad" zu berechnen sind. Die Prüfung der radiologischen Auswirkungen von Unfällen ist eine der typischen Anforderungen, die in einem Genehmigungsverfahren der Diskussion unterzogen werden. Für die Kernschmelzunfälle unter Hochdruckbedingungen wird diese Berechnung nicht gefordert.

Außer diesen Punkten werden vom DFD noch einige weitere genannt.

Unter dem Stichwort "Schwere Unfälle und Containmentauslegung" wird zuerst die Wasserstoffproblematik behandelt.

Mit Hilfe der Berechnung von Kernschmelzunfällen, die als repräsentativ ausgewählt werden, soll nachgewiesen werden, daß das Containment einer Wasserstoffexplosion standhält. Zur Begrenzung der Wasserstoffmengen und -konzentrationen im Reaktorgebäude können katalytische Rekombinatoren berücksichtigt werden. Es muß aber zugegeben werden, daß die Wirksamkeit dieser Rekombinatoren unter Unfallbedingungen mit Kernschmelzen noch nicht eindeutig nachgewiesen ist.

Im übrigen hält der DFD das Anbringen eines inneren Stahl-Liners im Reaktorgebäude wünschenswert, um im Hinblick auf Ereignisse wie z.B. eine Wasserstoffverbrennung zusätzliche Sicherheitsspannen zu besitzen.

Hinter dieser Aussage verbirgt sich, daß für den EPR im Unterschied zu den deutschen Druckwasserreaktoren kein Sicherheitsbehälter aus Stahl, sondern wie bei den französischen Reaktoren einer aus Spannbeton geplant ist.

Hier kommen wir auf ein Problem, das bei der Betrachtung aller Unfälle, bei denen radioaktive Stoffe aus dem Primärkreis in den Sicherheitsbehälter freigesetzt werden, beachtet werden muß. Kein Baustoff ist absolut dicht gegen das Herausdringen von radioaktiven Stoffen in die Umgebung. Es gibt nur Unterschiede in der Durchlässigkeit gegenüber Radioaktivität, die mit dem Fachausdruck der Leckrate bezeichnet werden. Gegenüber Spannbeton hat Stahl eine geringere Leckrate. Man kann deshalb davon aus gehen, daß aus einem Stahlsicherheitsbehälter geringere Mengen an radioaktiven Stoffen in die Umgebung gelangen.

In den Problembereich Containmentauslegung wird auch die Kühlung der Kernschmelze nach dem Durchdringen des Reaktordruckbehälters eingeordnet. Der gewählte Lösungsansatz besteht im Ausbreiten des geschmolzenen Kernmaterials auf einer großen Fläche mit anschließender Wasserflutung.

Das ist eine Variation zum Thema Kernfänger. Man ist aber auch hier des Erfolgs noch gar nicht sicher. Denn eine solche Lösung müßte erst noch mit Hilfe umfangreicher Forschungs- und Entwicklungsarbeiten bestätigt werden.

Zur Problematik der Containmentauslegung müßte auch die Behandlung von Dampfexplosionen gehören. Darüber fällt hier aber kein Wort.

Der DFD erwähnt noch kurz einen anderen Problembereich, der auch in der DRS-B behandelt wurde: Den Unfällen mit Umgehung des Containments über die Dampferzeuger oder über die am Primärsystem angeschlossenen Rohrleitungen ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Das ist auch angemessen, kann es doch auch bei diesen Unfällen wegen des Offenstehens des Primärkreislaufs in die Umgebung zu sehr weit ausgedehnten Schäden kommen.

Schließlich behandelt der DFD einige Punkte, die mit den bisherigen technischen Unterschieden zwischen dem deutschen Konvoi-Typ und dem französischen N4-Typ zu tun haben.

System

N4

Konvoi

Containment Doppelcontainment:
- innerer Sicherheitsbehälter
(ohne Auskleidung)
- äußerer Sicherheitsbehälter
aus Stahlbeton
Doppelcontainment:
- innerer Sicherheitsbehälter
als Stahlkugel
- äußerer Sicherheitsbehälter
aus Stahlbeton
Brennelement-
Lagergebäude
Separat Brennelementlager innerhalb des Reaktorgebäudes
Sicherheitseinspeisesystem 2-strängig 4-strängig
Nachwärmeabfuhrsystem Innerhalb des Containments,
2-strängig
Außerhalb des Containments,
4-strängig
Containmentsprühsystem
als Gegenmaßnahme gegen
Auslegungsstörfälle
Ja - (2-strängig) Nein
Notstromversorgung 2 Diesel,
1 Dampfturbine,
1 Gasturbine
4 Notstrom-Diesel
Leittechnik Informatisiert,
zusätzlich eine herkömmliche Notschalttafel
Herkömmliche Technik
Wasserreserve für den
Hauptkühlmittelkreislauf
1 Behälter (2.600 m3)
außerhalb des Reaktorgebäudes
4 Behälter
(insgesamt 1.880 m3)
Bespeisung der
Dampferzeuger
1 Hauptspeisewassersystem
1 Notspeisewassersystem
2-strängig, 4 Pumpen,
ebenfalls für Anfahren und
Abfahren
1 Hauptspeisewassersystem
1 Notspeisewassersystem
4-strängig,
1 Anfahr- und Abfahrsystem
(2 Pumpen)

Tabelle 9. Unterschiede zwischen N4 und Konvoi

Dazu einige Beispiele:

Wir finden hier das seit langem in der Bundesrepublik praktizierte Konzept der "Basissicherheit" wieder. Dabei wird darauf verzichtet, das heftige Ausschlagen von Hauptkühlkreisrohren beim plötzlichen doppelendigen Bruch zu behandeln, da angeblich wegen der Sorgfalt bei der Herstellung dieser Komponenten ein solches Versagen unwahrscheinlich ist. Das hat den Verzicht auf Halterungen zur Ausschlagsicherung zur Folge.

Dieses Vorgehen gab es in der französischen Genehmigungspraxis nicht.

Man braucht sich nur vorzustellen, was passiert wäre, wenn sich in diesem Detail der Genehmigungsfähigkeit die deutschen Vertreter der französischen Auffassung gebeugt hätten: Es hätte ihnen schwerwiegende Probleme hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Genehmigungspraxis bei den derzeit betriebenen deutschen Atomkraftwerken eingebracht. Das mußte natürlich vermieden werden. Offensichtlich deshalb wurde in diesem Punkt "die Weiterentwicklung der französischen Praxis möglich".

Auch die deutsche Seite mußte Zugeständnisse machen und hat sich einer Änderung ihrer gegenwärtigen Praxis nicht verschlossen. Gemäß der bisherigen französischen Praxis wird sie das gleichzeitige Eintreten eines Erdbebens und eines Lecks im Hauptkühlmittelkreislauf berücksichtigen.

Eine weitere Veränderung gegenüber der bisherigen deutschen Praxis ist im Text des DFD nicht erwähnt. Man kann sie nur aus einem Vergleich der Tabelle 9 und der Abbildung 34 gewinnen. Während in den deutschen Atomkraftwerken das Brennelementbecken innerhalb des Sicherheitsbehälters angeordnet ist, soll es beim EPR wie bei den französischen Reaktoren außerhalb des Containments angeordnet werden.

Fassen wir zusammen:

Man findet drei unterschiedlich behandelte Gruppen von Problemen.

Es drängt sich auf: Anscheinend will man sich des Hochdruckkernschmelzens durch den "Ausschluß" entledigen.

Abbildung 34. Schnitt durch das Reaktorgebäude des EPR

Die übrigen schweren Unfälle werden gesondert davon behandelt. Insbesondere bei den Kernschmelzunfällen unter Niederdruckbedingungen werden Anforderungen wie die radiologischen Auswirkungen, die in einem Genehmigungsverfahren der Diskussion unterzogen werden müssen, ausdrücklich genannt.

Das erinnert lebhaft an die Zweiteilung, die in der Bundesrepublik als falsche Interpretation des Kalkar-Urteils von 1978 gebräuchlich wurde: Auf der einen Seite die "beherrschbaren Unfälle", die als "Größter Anzunehmender Unfall" oder GAU im Genehmigungsverfahren zu behandeln sind, auf der anderen Seite alle Kernschmelzunfälle, die man mit der Begründung, sie seien äußerst unwahrscheinlich, dem Restrisiko zuordnete, das der Bevölkerung zuzumuten sei.

Es ginge dann um einen Versuch des DFD, nur die Abgrenzung neu zu definieren zwischen den Ereignissen, die im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen sind, weil sich hier gewisse als technisch machbare Maßnahmen abzeichnen könnten, und dem "Restrisiko", das der Diskussion im Genehmigungsverfahren entzogen ist; dorthin würde das Hochdruckkernschmelzen weiterhin "ausgeschlossen" werden. Die "Vorsorge gegen schwere Kernschmelzunfälle" bezöge sich nur noch auf das Kernschmelzen unter Niederdruckbedingungen im Primärkreislauf.

Man sollte auch die Aufweichung der Forderungen hinsichtlich der Katastrophenschutzmaßnahmen nicht übersehen.

Schließlich muß auch beachtet werden, daß man sich je nach den Ergebnissen der Untersuchungen der Versagenswahrscheinlichkeiten von Komponenten weitere Weichenstellungen oder Entscheidungen im Verlauf der Planung vorbehält.

Diese Vorgehensweise widerspricht der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden muß, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. Läßt sie sich technisch noch nicht verwirklichen, darf die Genehmigung nicht erteilt werden; die erforderliche Vorsorge wird mithin nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt. Dies verlangt der Schutz des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Man gewinnt den Eindruck, daß der DFD den Planern bei NPI Hilfestellungen bietet, wie die hohe Hürde des neuen § 7, Abs. 2a des Atomgesetzes umgangen werden könnte.

Zugegeben: Das ist ein böser Verdacht. Dergleichen äußert man nur ungern. Es wäre im Auge zu behalten, ob er entkräftet werden kann, wenn man sich mit der realen Planung für den EPR auseinandersetzt.

Planungswirklichkeit des EPR: Des Kaisers neue Kleider

Im Juni 1997 waren die Arbeiten am Basic Design für den EPR beendet. Dieser Moment war in den Kreisen, die sich für Atomenergiepolitik interessieren, mit Spannung erwartet worden. Sollte doch von nun an ein Antrag auf Baugenehmigung für den EPR möglich sein.

Den hohen Erwartungen der Öffentlichkeit kamen die Planer des EPR mit einer Veranstaltung entgegen, die die Kerntechnische Gesellschaft (KTG) vom 19. bis 21. Oktober 1997 in Köln veranstaltete. Diese Tagung war als reine Informationsveranstaltung organisiert. Fragen an die Referenten und eine Diskussion waren nicht vorgesehen.

Dieser Mangel war spätestens seit der Einladung nach Köln bekannt. Um ihm abzuhelfen, lud das schleswig-holsteinische Ministerium für Finanzen und Energie zusammen mit dem Öko-Institut zu einem Workshop am 20. November 1997 in Kiel ein, bei dem von vornherein ausreichend Raum für Diskussionen eingeplant war.

Aus diesen beiden Veranstaltungen stammen im wesentlichen die Informationen, die heute zur Planung des EPR zur Verfügung stehen. Wir stützen uns im folgenden auf den Tagungsband des Workshops des Kieler Energieministeriums.

Zuerst ein paar Aussagen zum Planungsstand und zu technischen Daten:

Mitte 1997 wurden in einem Bericht die Informationen, die nach Ansicht von NPI für die Erstellung eines standortunabhängigen Sicherheitsberichts notwendig wären, zusammengestellt. Es wurde auch eine Kostenermittlung durchgeführt.

Im Zusammenhang mit den Arbeiten der Sicherheitsbehörden im DFD haben sich auch andere europäische Länder an der Diskussion um die Anforderungen an neue Atomreaktoren beteiligt. Die spanische Sicherheitsbehörde, der Consejo de Seguridad Nuclear, hat sich darin besonders engagiert gezeigt. Eine Gruppe führender europäischer Elektrizitätsversorgungsunternehmen hat unter der Bezeichnung European Utility Requirements oder EUR Richtlinien erarbeitet, die die gemeinsamen Anforderungen der Betreiber an künftige Kernkraftwerke in Europa beschreiben. Der EPR soll auch diese Anforderungen erfüllen. Das betrifft im wesentlichen die Erdbebenauslegung.

In dem Diagramm, das wir in Abbildung 35 wiedergeben, werden noch einmal die Gründe für die gewählte evolutionäre Weiterentwicklung genannt. Daß "keine Prototypanlage erforderlich" ist und "das Genehmigungsrisiko" sich "verringert", soll es offensichtlich den Herstellerfirmen erleichtern, auf dem internationalen Markt Angebote zu machen.

  • Vorteile aus den gewonnenen Erfahrungen beider Länder bei Bau und Betrieb von Kernkraftwerken
  • Die Weiterentwicklung der bewährten Technik vermeidet unkalkulierbare Entwicklungsrisiken - keine Prototypanlage erforderlich
  • Durch Nutzung einer bewährten Technologie für eine evolutionäre Entwicklung verringert sich das Genehmigungsrisiko gegenüber einer vollständigen Neuentwicklung

Abbildung 35. EPR: Gründe für die gewählte evolutionäre Weiterentwicklung

Der EPR wird nun für eine thermische Leistung von 4250 MW geplant. Für die elektrische Leistung werden die Werte 1500 und 1525 MW genannt. Das ist eine nicht unbedeutende Steigerung gegenüber den zuletzt in der Bundesrepublik gebauten Atomkraftwerken mit 1300 oder 1350 MW, aber auch noch gegenüber den vier letzten französischen Anlagen mit 1450 MW Leistung.

Der EPR soll ein doppelschaliges Containment aus Beton haben. Die äußere Schale soll, wie bisher üblich, aus nicht vorgespanntem, normal bewehrtem Beton bestehen. Die innere Schale soll aus vorgespanntem Beton gefertigt werden. Das entspricht der Bauweise der französischen N4-Reaktoren. Ein Spannbetonbehälter versagt bei einem Druckanstieg nicht großflächig, wie der Stahl-Sicherheitsbehälter einer Konvoi-Anlage, sondern über wachsende Undichtigkeiten. Bei ihm spielt daher die Leckrate, die etwas aussagt über die Menge der durch die Undichtigkeiten freigesetzten radioaktiven Stoffe, eine größere Rolle als bei einem Stahlbehälter. Derzeit wird denn auch noch darüber nachgedacht, welche Vor- und Nachteile damit verbunden wären, wenn in den EPR doch noch ein zusätzlicher Stahl-Liner eingebaut würde.

Vertreter der Stromproduktionsunternehmen verkündeten: Am Beginn des 21. Jahrhunderts, wenn der Ersatz älterer Atomkraftwerke, die sich dem Ende ihrer Lebensdauer nähern, zu planen sei, erwarteten EdF und die deutschen Unternehmen, die Option für Atomenergie offen zu halten, dabei seien Eigenschaften wichtig wie - zuerst einmal -: breite Akzeptanz in der Öffentlichkeit, dann Kostenfragen wie: stabile Brennstoffkosten, deutliche Wettbewerbsfähigkeit verglichen mit den Alternativen in der Stromproduktion.

Die Resultate der Kostenrechnung für den EPR könne man vergleichen mit denen für den N4 am Standort Civaux und den Konvoi-Anlagen. Dabei sei es möglich, mit den heutigen laufenden Kosten für den N4 direkt zu vergleichen, weil diese Anlagen gerade fertiggestellt worden sind.

Anders sei das bei den Konvoi-Anlagen, weil der letzte davon schon vor zehn Jahren in Betrieb ging und deshalb keine Werte für die heute anzusetzenden Investitionskosten verfügbar sind. Das ginge folgendermaßen: "Nevertheless a qualitative comparision is possible in order to highlight the improvements made in the EPR." Sinngemäß übersetzt: Trotzdem sei ein Vergleich möglich, dafür müßten die Verbesserungen, die mit dem EPR gemacht wurden, als highlights dargestellt werden.

Der Kostenvergleich zwischen dem EPR und den zuletzt gebauten Atomkraftwerken in Frankreich und Deutschland hat also nicht nur die Funktion, den zukünftigen Kunden den EPR schmackhaft zu machen. Er soll auch in der Öffentlichkeit beider Länder die Akzeptanz des EPR fördern. Dabei wird eine deutliche Unterscheidung gemacht zwischen der Vorgehensweise für Frankreich und der für die Bundesrepublik.

In der Bundesrepublik reicht den Befürwortern des EPR eine bloß auf die Wirtschaftlichkeit zielende Argumentation nicht aus. Hier müssen noch andere highlights gesetzt werden.

Von NPI war zu hören: "Der gemeinsam zwischen Deutschland und Frankreich entwickelte EPR, ... wird ein neues Kapitel in der Nutzung der Kernenergie aufschlagen. Nicht nur, daß er durch seine weiter verbesserten Sicherheitsvorkehrungen schwere Störfälle noch unwahrscheinlicher macht, die Auslegung sieht darüber hinaus Maßnahmen vor, postulierte schwere Störfälle bis hin zum Kernschmelzen zu beherrschen. Damit werden sich für die in der Nähe der Anlage lebende Bevölkerung keine weitreichenden Konsequenzen, wie Evakuierung oder Umsiedelung, als Folge solcher Störfälle ergeben." Dies sei ein Beitrag zur Erhöhung der Akzeptanz der Kernenergie.

Eine der Verbesserungen, die so herausgestellt werden, daß man sie zu den highlights rechnen kann, ist daher die Optimierung durch systematische probabilistische Sicherheitsanalysen oder PSA-Studien während der Planungsphase.

Man spürt, daß damit auf die Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik im Anschluß an die DRS-B angespielt wird.

Man sollte aber auch darauf achten, welches Ziel damit verfolgt wird: Ohne praktische Erfahrung mit den eingesetzten neuen Komponenten kann man kaum etwas über deren Versagenswahrscheinlichkeiten aussagen. Es kann daher nur darum gehen, mehr oder weniger willkürlich zu entscheiden, daß ein System eine geringe Versagenswahrscheinlichkeit hat.

Das Versprechen, daß sich für die in der Nähe der Anlage lebende Bevölkerung keine weitreichenden Konsequenzen, wie Evakuierung oder Umsiedelung, als Folge von Kernschmelzen ergeben werden, könnte leicht so verstanden werden, daß aus Sicht der Projektbetreiber die folgenden Sicherheitsanforderungen erfüllt sein müssen:

Nur dann könnte davon die Rede sein, daß die Genehmigungsvoraussetzung des Absatzes 2a des § 7 AtG erfüllt ist, nach der der EPR so beschaffen sein muß, daß auch bei sehr gering wahrscheinlichen schweren Unfällen die radioaktiven Freisetzungen so begrenzt werden können, daß außerhalb des Anlagengeländes einschneidende Katastrophenschutzmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung entbehrlich sind.

Es ist also die Frage, ob der EPR mit den jetzt festgelegten technischen Merkmalen diesen Forderungen standhält. Besondere Aufmerksamkeit dürfte sich dabei auf die in der Öffentlichkeit in der Vordergrund gestellten positiven Eigenschaften des EPR, die highlights, richten.

Als "Strategie 1" wird die Störfallvermeidung genannt.

Dies sind Forderungen, die aus den Ergebnissen der Reaktorsicherheitsforschung abgeleitet sind. Sie zu erfüllen, bedeutet heute Einhaltung des Standes der Technik. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die kaum ins Licht der besonderen Verbesserung gestellt werden kann.

Die Überlegungen, die NPI dann folgen läßt, sind der "Strategie 2", Beherrschung schwerer Störfälle, zuzuordnen.

Zum Zweck der Reduzierung der Eintrittswahrscheinlichkeit von schweren Unfällen "werden Abläufe mit mehrfachen Ausfällen bis hin zum Komplettausfall eines redundanten Systems probabilistisch betrachtet".

Man schließt also die Unfallabläufe aus der Betrachtung aus, bei denen auch noch das System versagt, das die Funktion der Diversität erfüllen soll. So hat man rein rechnerisch schon eine erste Reduzierung erreicht.

Für die Reduzierung der Eintrittswahrscheinlichkeiten von Störfällen werden Zielwerte genannt:

- Wahrscheinlichkeit für einen Kernschmelzunfall aufgrund aller internen Ereignisse während Leistungsbetrieb und bei abgeschalteter Anlage < 10 -6 pro Reaktorbetriebsjahr.

In dieser Aussage versteckt sich eine weitere "Reduzierung". Mit der Beschränkung auf Ereignisse im Innern des Sicherheitsbehälters, die eine Kernschmelze auslösen können, werden alle Ereignisse aus äußerer Ursache wie Flugzeugabsturz, Erdbeben, Explosionswelle bei einem Unfall außerhalb der Anlage von der Ermittlung der Gesamthäufigkeit von Kernschmelzunfällen ausgeschlossen. Nach der DRS-B muß allein schon für das Eintreten solcher Unfälle mit so hohen Eintrittswahrscheinlichkeiten gerechnet werden, daß sie sich deutlich auf die Gesamteintrittswahrscheinlichkeit auswirken müssen.

- Wahrscheinlichkeit für einen Kernschmelzunfall mit frühem Versagen des Sicherheitseinschlusses < 10 -7 pro Reaktorbetriebsjahr.

Dies sind die Unfallabläufe, denen im Endbericht der DRS-B bei Berücksichtigung der sogenannten "AM-Maßnahmen" /"anlageninternen Notfallmaßnahmen" eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 4x10-6 pro Reaktorbetriebsjahr zugewiesen wurden. Ohne Berücksichtigung dieser Maßnahmen muß mit ihrem Eintreten mit 3,1x 10-5 pro Reaktorbetriebsjahr gerechnet werden. Früher hielten es selbst Hüttl und Carle als Vertreter von Siemens und Framatome für unmöglich, die Eintrittswahrscheinlichkeit unter Werte um 10-6 zu reduzieren. Wie soll dann jetzt der erstrebte Wert von < 10 -7 zustande kommen?

Zuerst einmal begegnen einem "die Maßnahmen, durch die die Eintrittswahrscheinlichkeit von Störfällen weiter reduziert werden soll" auch in der Formulierung "Maßnahmen zur Störfallvermeidung". Worum geht es hier?

Als der DFD den "Ausschluß" des Hochdruckkernschmelzens für eine Beurteilungsfrage erklärte, benannte er auch die Voraussetzungen, die er dafür akzeptieren würde: Insbesondere setzt "der Ausschluß von Kernschmelzunfällen auf dem Hochdruckpfad voraus, daß die Nachwärmeabfuhr über das Sekundärsystem sowie die Stromversorgung ausreichend zuverlässig sind.

Die angestrebte Reduzierung der Wahrscheinlichkeit einer Kernschmelze erfordert für die Sicherheitssysteme eine Verbindung von Redundanz (Vorhandensein von mehreren identischen Systemen, um dieselbe Funktion auszuführen) mit Diversifizierung (Vorhandensein von unterschiedlichen Mitteln)."

Heute wird von NPI behauptet, diese Forderungen seien erfüllt. Es heißt, bei der technischen Realisierung dieser Anforderungen sei es das Ziel gewesen, ein neues, ausgewogenes Konzept zu entwickeln. Dabei "wurde das aus den deutschen KONVOI Anlagen bekannte Prinzip der vierfach Redundanz mit einer Diversität der Sicherheitssysteme verknüpft, wie sie von den französischen Anlagen her bekannt ist."

Hier wird darauf angespielt, daß die französischen N4-Reaktoren für die Notstromversorgung zwei Dieselaggregate, eine Dampfturbine und eine Gasturbine haben, daß dort also drei verschiedene technische Systeme vorhanden sind.

Das ist der Rückgriff auf die beiderseitigen Erfahrungen, wieder eins der highlights.

Zur Erreichung der Schutzziele "müssen sämtliche möglichen Störfallabläufe analysiert, die zu erwartenden Effekte erkannt und geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden."

Wer möchte nicht diesem Vorgehen zustimmen? Man erwartet allerdings, daß einige weitere Analyseschritte getan werden, daß nämlich auch die Versagensmöglichkeiten der Gegenmaßnahmen und die sich daraus ergebenden möglicherweise schwerwiegenden Folgen berücksichtigt werden.

Die Darstellung der Unfallabläufe beginnt: "Zur Vermeidung einer Kernschmelze unter hohem Systemdruck wird ein zuverlässiges primärseitiges Druckabbausystem vorgesehen das durch manuelles Eingreifen die entsprechenden Armaturen öffnet und den sogenannten Hochdruckpfad in den Niederdruckpfad überführt. Dieses System vermeidet gleichzeitig die Gefahr der direkten Überhitzung des Sicherheitsbehälters durch versprühte Kernschmelzepartikel."

Dieses Thema wird auch unter dem Titel "Diversität" abgehandelt: "In letzter Konsequenz existiert auch bei Ausfall der sekundärseitigen Wärmeabfuhr eine Ersatzfunktion". Wir ergänzen: Der Ausfall der sekundärseitigen Wärmeabfuhr wird durch Stromausfall und Versagen der Notstromversorgung verursacht.

Man liest, daß die Ersatzfunktion "durch das Abblasen von Dampf auf der Primärseite bei gleichzeitigem Nachspeisen wahrgenommen wird. Dazu sind die Abblase- und Sicherheitsventile des Druckhalters speziell ausgelegt und getestet worden da ihre Funktion auch zur Beherrschung schwerer Störfälle und hier insbesondere zur Vermeidung von Kernschmelzen unter hohem Druck benötigt wird."

Es wird zwar nicht gesagt, aber da haben wir die "anlageninternen Notfallmaßnahmen" auf der Primärseite, das sogenannte "Bleed-and-feed", vor uns. Sie entpuppen sich als die "Maßnahmen, durch die die Eintrittswahrscheinlichkeit von Störfällen weiter reduziert werden soll", die von NPI auch mit den "Maßnahmen zur Störfallvermeidung" gleichgesetzt werden.

Ihnen wird nicht etwa bloß eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit zugewiesen. Sie werden vielmehr so dargestellt, als sei an ihrer erfolgreichen Durchführung gar nicht zu zweifeln. Die "Vermeidung von Kernschmelzen unter hohem Druck" endet damit, daß der "sogenannte Hochdruckpfad in den Niederdruckpfad überführt" wird. Was der DFD zu einer Beurteilungsfrage erklärt hat, wäre zugunsten des EPR beantwortet. Der "Ausschluß" des Hochdruckkernschmelzens wäre erreicht.

Aber dieses Ziel haben die Planer von NPI natürlich nur verbal erreicht. Wir brauchen nur an unsere frühere Kritik an den "anlageninternen Notfallmaßnahmen" zu erinnern. Zwei Punkte mögen genügen:

Da ist zum einen die Aussage in der DRS-B: Charakteristisch für "anlageninterne Notfallmaßnahmen" ist, daß das Bedienungspersonal zu Beginn das volle Ausmaß der Probleme noch nicht kennt. Und Ereignisabläufe, die vorausschauendes Denken verlangen - zum Beispiel für die Einleitung von vorbereitenden Handlungen -, für die aber nur knapp bemessene Handlungszeiten zur Verfügung stehen, werden von Effekten wie "verzögerte oder unklare Prozeßrückmeldung" in sehr ungünstiger Weise beeinflußt.

Zum anderen muß beachtet werden: Öffnen die Abblase- und Sicherheitsventile des Druckhalters zum falschen Zeitpunkt, kann der Unfallablauf noch schneller zum Kernschmelzen unter hohem Druck führen. Dazu kann es sogar kommen, wenn die Druckhalterventile automatisch gesteuert werden, wenn trotzdem eine der Armaturen fälschlich offen stehenbleibt. Umso mehr muß man dieses Problem beachten, wenn in der Situation des äußersten Notfalls die Betriebsmannschaft manuell eingreifen soll.

Bis hierher ging es um das Hochdruckkernschmelzen wegen Ausfall der Hauptwärmesenke, verursacht durch Stromausfall und Versagen der Notstromversorgung.

Unter dem Titel "Diversität" findet sich auch die Aussage, hinter der sich das andere Ereignis verbirgt, das zum Hochdruckkernschmelzen führen kann: "Für kleine Lecks wird darüber hinaus die Nachwärmeabfuhrfunktion durch die Sekundärseite übernommen."

Wie das geschehen soll, wird hier nicht mitgeteilt. Man muß annehmen, daß es sich hier ebenfalls um "anlageninterne Notfallmaßnahmen" handelt. Dabei wäre an die Vorschläge der RSK zu denken, im Notfall Kühlwasser über Feuerwehrschläuche aus dem Kühlteich oder dem Fluß in den Sekundärkreislauf einzuspeisen, um durch Ableitung der Nachzerfallswärme eine gewisse Druckabsenkung im Primärkreislauf zu erreichen. Gerade diese Vorschläge sind in der Öffentlichkeit schon früher mit Spott beantwortet worden. Ob man sie deshalb lieber nicht erwähnt?

Eine Einrichtung zum Auffangen des herausfliegenden Sicherheitsbehälters, wie sie sich das KfK überlegt hat, sucht man vergebens. Wieder erfährt man nur aus anderer Quelle, daß zwar eine Verstärkung der Aufhängung des Reaktordruckbehälters und der Reaktorgrube zur Aufnahme der Beanspruchungen beim Durchschmelzen des Reaktordruckbehälters vorgesehen ist, daß dafür aber nur ein Druck im Primärkreislauf niedriger als 20 bar angesetzt ist. Das ist eindeutig: Man geht davon aus, daß der "praktische Ausschluß" des Hochdruck-Schmelzens erreicht ist.

Man soll annehmen, daß in jedem Fall beim Hochdruck-Schmelzen der Kern im Reaktordruckbehälter erst nach erfolgreicher Druckabsenkung im Primärkreislauf zusammenschmilzt. Daher ist in allen Fällen der weitere Verlauf gleich. Dann müßte nur noch Niederdruckkernschmelzen berücksichtigt werden mit der Ansammlung der Kernschmelze im unteren Teil des Reaktordruckbehälters, Durchschmelzen des Behälters, Ansammlung der Schmelze in der Reaktorgrube und anschließende Verteilung der Schmelze auf eine große Fläche.

In der Darstellung von NPI zeigt sich dies auch sogleich. Direkt an den Absatz, mit dem die Darstellung der Unfallabläufe beginnt und in dem behauptet wird, daß der Hochdruckpfad in den Niederdruckpfad überführt, also "ausgeschlossen" wird, schließt sich unmittelbar an:

"Als wesentliches Auslegungsmerkmal für die Beherrschung dieser schweren Störfälle wurde unterhalb des Reaktordruckbehälters eine Auffangfläche für die Kernschmelze vorgesehen." Bei dem hier erwähnten Teil des Unfallablaufs kann es sich nur noch um Niederdruckkernschmelzen handeln.

Die Auffangfläche ist der in der Propaganda immer wieder als die wichtige Besonderheit des EPR herausgestellte core catcher oder Kernfänger.

Es geht weiter: "Um Dampfexplosionen zu verhindern, ist diese Fläche zu Störfallbeginn trocken und gegen ungewollten Wassereinbruch isoliert. Nachdem die Schmelze den Druckbehälter verlassen hat, breitet sie sich aus und bildet eine gut kühlbare, dünne Schicht. Erst dann wird sie durch Wasser aus dem innenliegenden Flutbecken bis zur Erstarrung weiter abgekühlt, um sich innerhalb des Sicherheitsbehälters zu stabilisieren. Um eine Wechselwirkung zwischen Beton und Kernschmelze und damit ein Durchschmelzen der Fundamentplatte zu verhindern, ist die Ausbreitungsfläche zusätzlich durch eine geeignete Schutzschicht gesichert."

"Weitere Maßnahmen sind zur Sicherstellung der Dichtheit des Sicherheitsbehälters vorgesehen, um die Freisetzung radioaktiver Materialien in die Umgebung zu verhindern. Dabei handelt es sich im wesentlichen um einen ausreichend hohen Auslegungsdruck des Sicherheitsbehälters. Zur Vermeidung von Wasserstoff-Explosionen des während des Störfallablaufs entstehenden Wasserstoffs wird die globale wie lokale Wasserstoffkonzentration durch Rekombinatoren und Zünder limitiert."

"Ein speziell für die Beherrschung dieser Störfälle vorgesehenes Wärmeabfuhrsystem stellt sicher, daß die Auslegungsparameter des Sicherheitsbehälters (Druck und Temperatur) auch langfristig nicht überschritten werden. Dazu wird Wasser in die Atmosphäre des Sicherheitsbehälters gesprüht, um den entstehenden Dampf zu kondensieren und dadurch den Druck bis auf Atmosphärendruck abzusenken.

"Mit dieser Reihe von Maßnahmen wird sichergestellt, daß selbst der unwahrscheinliche und nur hypothetisch angenommene Fall eines Kernschmelzunfalls außerhalb der Anlage selbst keinerlei Auswirkungen haben wird." (Heraushebung dieses Satzes durch BIU).

Zuerst betrachten wir die einzelnen Phänomene und die zu ihrer Verhinderung vorgeschlagenen Maßnahmen. Auch mit diesen Punkten sollen Forderungen des DFD erfüllt werden. Man kann auch sie zu den highlights zählen.

Aufgrund der Wechselwirkung zwischen dem aufgeheizten Brennstoff und dem Kühlmittel kann es zu Dampfexplosionen kommen.

In dem vorliegenden Text von NPI werden Überlegungen zur Möglichkeit von Dampfexplosionen im Reaktordruckbehälter gar nicht erwähnt. So erfährt man auch nicht hier, sondern aus einem anderen Beitrag, daß nur mit Hilfe von Rechenprogrammen nachgewiesen werden soll, daß Dampfexplosion nicht zur Absprengung des Deckels des Reaktordruckbehälters führt, so daß er auch nicht den Sicherheitsbehälter durchschlagen kann.

Technische Maßnahmen gegen Dampfexplosion im Reaktordruckbehälter sind deshalb nicht vorgesehen.

Brennstoff-Kühlmittel-Wechselwirkung außerhalb des Reaktordruckbehälters soll geringe Auswirkungen haben.

Professor Reimann von der Fachhochschule Saarbrücken hat während des Workshops in Kiel im November 1997 in seinem Referat die Herangehensweise von NPI an die Problematik der Dampfexplosion einer ausführlichen Kritik unterzogen. Hier einige wichtige Punkte daraus:

Mag die Ausbreitungsfläche zu Beginn des Störfalls auch trocken sein, muß aber berücksichtigt werden, daß im Verlauf des Unfalls nicht nur die Schmelze in die Reaktorgrube und auf die Ausbreitungsfläche gerät, sondern auch Wasser aus einem Leck im Primärkreislauf oder aus dem zerstörten Reaktordruckbehälter ausfließen kann. Aus Experimenten, aus Unfällen mit geschmolzenem Metall und aus der Vulkanismusforschung sind Vorgänge bekannt, bei denen es auch bei geringen Mengen von Wasser im Verhältnis zur Schmelzemasse zu sehr heftigen Explosionen kommt. Es widerspricht daher technischer und wissenschaftlicher Erfahrung, anzunehmen, daß es bei der Brennstoff-Kühlmittel-Wechselwirkung nicht zur Zerstörung des Sicherheitsbehälters kommen wird.

Bei der Zerstörung des Sicherheitsbehälters infolge Dampfexplosion kommt es zu ähnlich großen Freisetzungen von radioaktiven Stoffen in die Umgebung wie beim Hochdruckkernschmelzen.

Durch Wechselwirkung zwischen Beton und Kernschmelze kommt es zum Durchschmelzen der Fundamentplatte. Nach NPI soll deshalb die Ausbreitungsfläche durch eine geeignete Schutzschicht gesichert sein. Früher war die Rede von der Verwendung hochwärmefester Keramik. Wäre man damit wirklich erfolgreich, würde man sicher nicht unterlassen, darauf hinzuweisen. Vielmehr war noch im Oktober 1997 der core-catcher des EPR noch nicht endgültig festgelegt, die Machbarkeit muß noch nachgewiesen werden. Daß eine Verseuchung des Grundwassers mit radioaktiven Stoffen aus dem Schmelzematerial verhindert werden kann, ist also ebenfalls nicht nachgewiesen.

Während des Schmelzens des Kerns im Reaktordruckbehälter und bei der Beton-Schmelze-Wechselwirkung wird Wasserstoff frei, der vermischt mit der Luft im Sicherheitsbehälter das explosive Knallgas bildet. Die Zweifel an der Methode, den Wasserstoff mit Zündern abzufackeln, sind keineswegs ausgeräumt. Sie gilt als das sicherste Mittel, den Sicherheitsbehälter gezielt zu zerstören. Dann werden ähnlich große Mengen von radioaktiven Stoffen in die Umgebung freigesetzt wie beim Hochdruckkernschmelzen.

Falls die Schmelze sich auf der Ausbreitungsfläche verteilt hat, wird in ihr immer noch tagelang durch Kernspaltung Nachzerfallswärme produziert, durch die es zu einem Druckanstieg im Sicherheitsbehälter kommt. Ein Sprühsystem, mit dem in der Atmosphäre des Sicherheitsbehälters der Druck abgesenkt würde, könnte höchstens dann noch die erwartete Wirkung entfalten, wenn nicht bereits vorher weitere Ereignisse eingetreten sind, durch die der Sicherheitsbehälter zerstört wurde.

Die EPR-Planer versuchen offensichtlich, den Eindruck zu erwecken, bis zum erfolgreichen Erstarren der Schmelze auf der Ausbreitungsfläche gebe es keine Probleme, die Aufgabe sei also gelöst. Bei näherer Betrachtung sieht das erheblich anders aus. Das Versprechen, daß ein Kernschmelzunfall außerhalb der Anlage selbst keinerlei Auswirkungen haben wird, kann auch für den Fall des Niederdruckkernschmelzens nicht eingelöst werden.

Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß zwar der DFD gefordert hatte, radiologische Konsequenzen von Störfällen einschließlich Kernschmelzunfällen zu untersuchen, dieses Thema hier jedoch überhaupt nicht behandelt wird. Auf die radiologischen Auswirkungen von Niederdruck-Kernschmelzen geht NPI gar nicht ein. Es soll ja der Eindruck erweckt werden, es passierte nichts. Und dann bräuchte man sich natürlich auch nicht mit Freisetzungs-, Ausbreitungs- und Katastrophenschutzfragen zu befassen!

Es war uns aufgefallen, daß schon der DFD gerade in diesem Zusammenhang Abweichungen von der Formulierung im Atomgesetz zuließ, nach der einschneidende Katastrophenschutzmaßnahmen außerhalb des abgeschlossenen Geländes der Anlage nicht erforderlich sein dürfen. Der DFD hatte Evakuierungen aus einem Bereich in der direkten Umgebung des Kernkraftwerks, Verbleiben in Häusern und kurzfristige Verzehrverbote nicht ausgeschlossen.

Darüber zu sprechen im Rahmen von Verbesserungen, die als highlights dargestellt werden sollen, war wohl nicht opportun.

Der DFD hatte gefordert, der "Ausschluß" von Unfällen, die kurzfristig zu einem Versagen des Containments führen könnten, müsse auch mit Hilfe von geeigneten Auslegungsmaßnahmen erreicht werden. Dies setze insbesondere für den Ausschluß von Kernschmelzunfällen auf dem Hochdruckpfad voraus, daß die Nachwärmeabfuhr über das Sekundärsystem sowie die Stromversorgung ausreichend zuverlässig sind.

An die Stelle des "ausreichend zuverlässig" müßte man auch "geringe Versagenswahrscheinlichkeit" setzen können. Dann würde sofort klar, daß sich auch in dieser Formel die "Reduzierung der Wahrscheinlichkeit" verbirgt.

Der Erfüllung dieser Forderung ist in dem NPI-Artikel ein umfangreicher Abschnitt gewidmet.

Es geht um den schon vorn erwähnten Punkt "Vermeidung von Ausfällen durch gemeinsame Ursachen (common mode) durch räumliche Trennung und Vorsehen von diversitären Sicherheitsfunktionen".

Systeme, die zur Störfallbeherrschung benötigt werden, sind, wie sich das gehört, vierfach vorhanden. Man sieht das in Abbildung 36. Es gibt vier räumlich voneinander getrennte Sicherheitsgebäude, die auch als Divisionen bezeichnet werden. In ihnen ist je eine Gruppe der Sicherheitssysteme untergebracht. Damit ist die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls aller Teilsysteme durch gemeinsame Ursachen wie Feuer oder Überflutung - zwar nicht ganz, wie NPI glauben machen will, aber doch weitgehend -ausgeschlossen. Denn man muß eine Einschränkung machen: "Da diese vier Teilsysteme aber in der Regel identisch aufgebaut sind, läßt sich ein durch gleiche Ursachen, wie gleiche Konstruktionsmerkmale von Komponenten, verursachter Komplettausfall nicht ausschließen."

Abbildung 36. Gebäudeanordnung des EPR

Dieser Fehlerwahrscheinlichkeit kann auch NPI nicht entgehen. Daraus folgt die Forderung nach Diversität. Und es wird behauptet, "daß die sicherheitstechnische Funktion eines viersträngig aufgebauten Sicherheitssystems bei dessen Komplettausfall von andern, in der Regel ebenfalls viersträngig aufgebauten Sicherheitssystemen übernommen werden kann".

Man wird darauf achten müssen, ob es Einschränkungen gegenüber dieser Regel gibt.

Diese Maßnahmen haben zwei Funktionen. Die Kombination von Vierfach-Redundanz mit Diversität erhöht die Zuverlässigkeit der Sicherheitsfunktionen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. NPI erklärt aber, dies liefere auch "einen erheblichen Beitrag zur weiteren Verminderung der Eintrittswahrscheinlichkeit schwerer Störfälle". Zunächst war ja noch offengeblieben, wie die Reduzierung der Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Kernschmelzunfall mit frühem Versagen des Sicherheitseinschlusses auf < 10 -7 pro Reaktorbetriebsjahr zustande kommen soll. Darum muß es sich hier handeln.

Die Sicherheitssysteme werden im Text beschrieben. Sie sind auch in einer stark schematisierenden Zeichnung dargestellt, die wir hier in Abbildung 37 wiedergeben.

Abbildung 37. Sicherheitssysteme des EPR, schematischer Schnitt

Als erstes wird das Mitteldruckeinspeisesystem genannt. Man benötigt ja ein Kühlmittelfördersystem, durch das bei kleinen Lecks im Primärkreis der Kühlmittelverlust wieder ergänzt werden soll. NPI sagt dazu: "Der Systemdruck beträgt dabei nur 80 bar um ein Ansprechen der sekundärseitigen Sicherheitsventile im Fall eines Dampferzeuger-Heizrohrbruchs zu verhindern, so daß damit keine radiologischen Freisetzungen verbunden sind."

Zwar geht man damit wieder auf eine Forderung des DFD ein, der empfahl, den Unfällen mit Umgehung des Containments über die Dampferzeuger besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Andererseits läßt man zu, daß in der Anfangsphase des Hochdruckkernschmelzens, solange sich der Druck im Primärkreis noch in der Nähe des Betriebsdrucks von 155 bar hält, der Kühlmittelverlust nicht ergänzt werden kann, so daß die Gefahr, daß eine Kernschmelze schon in diesem Zeitraum und damit unter hohem Druck eintritt, sehr groß ist. Diese Situation kann sich auch beim Bruch nur weniger Dampferzeuger-Heizrohre ergeben.

Indem man die Auswirkungen des einen Unfallverlaufs mit schwerwiegenden Folgen zu beschränken vorgibt, rennt man bei einem ebenfalls katastrophalen Unfallverlauf mit hohen Freisetzungen von radioaktiven Stoffen in eine Sackgasse.

NPI läßt einige Angaben zu den übrigen Sicherheitssystemen folgen:

Wie das Mitteldruckeinspeisesystem sind auch die Druckspeicher, die einen Ansprechdruck von 45 bar haben, an die kalten Stränge zwischen Dampferzeugern und Reaktordruckbehälter angeschlossen. Das Niederdruckeinspeisesystem ist mit beiden, dem heißen und dem kalten Strang verbunden.

Zur Nachwärmeabfuhr während des Betriebs oder bei einem Störfall hat man sich etwas einfallen lassen. Man bezieht sich hier auf die bisherige Erfahrung.

Bei den Konvoi-Anlagen hat das Nachwärmeabfuhrsystem zwei Aufgaben. Bei abgeschaltetem Reaktor, z.B. während der Revision, dient es als Betriebssystem zur Nachwärmeabfuhr. Wenn es um die Beherrschung von Störfällen geht, soll es auch die Aufgaben des Niederdruckeinspeisesystems wahrnehmen. Es soll bei großen Lecks, wenn der Druck im Primärkreislauf niedrig ist, den Kühlmittelverlust ausgleichen.

Beim EPR ist eine klare Trennung von Sicherheits - und Betriebssystemen gewollt. Deshalb ist hier die Aufgabe der Störfallbeherrschung, die Sicherheitsfunktion, dem Niederdruckeinspeisesystem zugewiesen.

Die Aufgabe der Nachwärmeabfuhr im Betriebszustand, während abgeschaltetem Reaktor, nimmt das Nachwärmeabfuhrsystem wahr, das man in der Abbildung 37 auch als Nachkühlsystem bezeichnet findet. Es handelt sich nun ausschließlich um ein Betriebssystem. Aus diesem Grunde, wird von NPI ausgeführt: "konnte es innerhalb des Sicherheitsbehälters angeordnet werden, da eine Berücksichtigung von Reparaturmöglichkeiten während der Störfallbeherrschung nicht mehr zu unterstellen ist". Aus der Abbildung 36 geht hervor, daß es nur zweimal vorhanden ist. Diese Anordnung trägt nach NPI zur Erhöhung der Sicherheit bei, "da ein Verlust von Notkühlmittel nach außerhalb des Sicherheitsbehälters während Nachkühlbetrieb ausgeschlossen ist", sprich: die Bypass-Möglichkeit verringert wird.

Man scheint sich seiner Fachsprache nicht sehr sicher zu sein, denn solange es um die betriebliche Nachkühlung geht, kann es sich nicht um Notkühlmittel handeln.

Der Verlust von Kühlmittel nach außerhalb des Sicherheitsbehälters während des Nachkühlbetriebs bei abgeschalteter Anlage war bisher insbesondere auf der französischen Seite als Unfallablauf mit nennenswertem Kernschmelzrisiko betrachtet worden. Dies wäre durch die neue Anordnung vermieden.

Nun wird dargestellt, daß "die einzelnen Sicherheitsfunktionen auch von zu den eigentlichen Sicherheitssystemen diversitären Systemen wahrgenommen werden" können. Aussagen dazu sind auch in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt.

Funktion der Sicherheitssysteme

"back-up" Systemfunktion


Mitteldruck-
Sicherheits-
einspeisesystem

Schnelle sekundärseitige Druckentlastung

Druckspeicher-
einspeisesysteme

Niederdruck-
Sicherheits-
einspeisesystem

Niederdruck-
Sicherheits-
einspeisesystem

Mitteldruck-
Sicherheits-
einspeisesystem

Primärseitiges
Nachwärme-
abfuhrsystem

ODER


sekundärseitiges
Nachwärme-
abfuhrsystem
(bei kleinem Primärleck)

Nachkühlsystem

Sekundärseitiges
Nachwärme-
abfuhrsystem

ODER


Niederdruck-
Sicherheits-
einspeisesystem
 

Beckenkühlsystem

BE-Beckenaufheizung

Kühlmittelergänzung
 

Sekundärseitiges
Nachwärme-
abfuhrsystem

Primärseitiges
"Bleed & Feed"
   

Notstrom-
Dieselgeneratoren
(10 kV)

Notstrom-
Dieselgeneratoren
(690 V)
   

Tabelle 10. Diversifizierung der Sicherheitssysteme des EPR

Die Funktion des Mitteldruckeinspeisesystems soll "von einer Kombination der Funktionen der sekundärseitigen Wärmeabfuhr, der Druckspeichereinspeisung und des Niederdruckeinspeisesystems übernommen werden können".

Gerade haben wir vernommen, daß der Systemdruck des Mitteldruckeinspeisesystems bis zu 80 bar beträgt. Es ist daher schwer zu begreifen, wie seine Funktion, Kühlmittel gegen den Druck im Primärkreis einzuspeisen, von der Druckspeichereinspeisung, die erst bei einem Druck von 45 bar anspricht, und dem Niederdrucksystem, das nur bei noch niedrigerem Druck Wasser in den Primärkreis fördern kann, übernommen werden soll. In dem Diagramm in Abbildung 36 kann man nachlesen, was mit "Funktion der sekundärseitigen Wärmeabfuhr" gemeint ist, nämlich "schnelle sekundärseitige Druckentlastung". Das kann nichts anderes heißen, als daß man die Sicherheitsventile in den Frischdampfleitungen des Sekundärkreislaufs gegen die automatische Steuerung offenhalten will, um möglichst viel Dampf in die Umgebung ausblasen zu lassen und damit eine gewisse Kühlwirkung für den Primärkreislauf zu bewirken. Voraussetzung für den Erfolg auch dieser Maßnahme wäre wiederum erfolgreiches "Bleed-and-feed" über die Druckhalterventile. Was hier beschrieben ist, sind also auch nur bestenfalls "anlageninterne Notfallmaßnahmen".

"In ähnlicher Weise" heißt es weiter, "kann die Einspeisefunktion des Niederdruckeinspeisesystems durch das Mitteldruckeinspeisesystem und seine Nachwärmeabfuhrfunktion durch das Nachwärmeabfuhrsystem übernommen werden."

Aber eben wurde mitgeteilt, daß das Nachwärmeabfuhrsystem ausschließlich ein Betriebssystem ist, das sich wegen seiner Anordnung vollständig innerhalb des SHB und der deshalb im Notfall nicht gegebenen Reparaturmöglichkeiten gerade nicht zum Sicherheitssystem eignet. Die Versagenswahrscheinlichkeit dieses Systems ist also hoch. Gelingt es nicht, das Kühlmittel zu ersetzen, das durch das große Leck ausströmt, kommt es sehr schnell zum Schmelzen des Kerns.

Sollte das betriebliche Nachwärmeabfuhrsystem ausfallen, soll seine Funktion "durch zwei extra dafür vorgesehene Stränge des Niederdruckeinspeisesystems ersetzt werden" können.

Das geht aber nur auf Kosten der zuvor gelobten Erhöhung der Sicherheit. Da Pumpen und Ventile des Niederdruckeinspeisesystems außerhalb des Sicherheitsbehälters angeordnet sind, wie man Abbildung 35 entnehmen kann, kehrt das Problem Bypass-Unfall zurück.

Erst ganz zum Schluß wird der Bezug hergestellt zu der anfangs angeführten Aussage des DFD, als Voraussetzung für den Ausschluß von Kernschmelzunfällen auf dem Hochdruckpfad müsse die Nachwärmeabfuhr über das Sekundärsystem sowie die Stromversorgung ausreichend zuverlässig sein.

Beschrieben wird hier das Notspeisesystem für die Dampferzeuger auf der Sekundärseite. Es ist, wie schon bisher üblich, ein reines Sicherheitssystem und hat keine betrieblichen Funktionen. Es besteht aus vier voneinander unabhängigen Strängen, die jeweils einem Dampferzeuger direkt zugeordnet sind. Es soll auch bei einem kompletten Ausfall der Stromversorgung eine Autonomie der Anlage, also die Kühlbarkeit, für 24 Stunden garantieren. In Abbildung 35 ist zu sehen, daß dafür ein Notspeisetank dargestellt ist. Dieser mag vielleicht einen Wasservorrat enthalten, der groß genug ist, um für diesen ganzen Zeitraum zur Kühlung über den Sekundärkreis zur Verfügung zu stehen. Im Leitungsstrang zwischen Notspeisetank und Dampferzeuger sind aber Ventile und Pumpen erforderlich. Neue Systeme bringen auch neue Versagensmöglichkeiten mit sich.

Die Notspeisewasserpumpen werden von vier Notstromdieseln angetrieben. Um dem Ausfall der Stromerzeugungskapazität und Speisewasserversorgung auf der Anlage durch gemeinsame Ursachen vorzubeugen, sind nochmals zwei kleinere Aggregate als diversitäre Systeme vorgesehen.

Diesem komplexen Sicherheitssystem ist als "Ersatzfunktion" im Absatz vorher die Maßnahme Abblasen von Dampf auf der Primärseite über die Abblase- und Sicherheitsventile des Druckhalters zugeordnet, die zu den "anlageninternen Notfallmaßnahmen" gehört und die wir in unserer Darstellung schon vorn bei der Besprechung des Hochdruckkernschmelzens herangezogen haben.

Bei keinem der hier dargestellten Systeme kann die diversitäre oder Ersatzfunktion überzeugen. Als "Diversität" wird in den meisten Fällen nicht das Vorhandensein einer weiteren technischen Komponente mit derselben Sicherheitsfunktion beschrieben, sondern auf die "anlageninternen Notfallmaßnahmen" verwiesen.

NPI schließt dieses Kapitel mit der Feststellung: "Durch diese Auslegung der Sicherheitssysteme mit ihren diversitären Ersatzfunktionen sind deterministisch, durch einen hohen Redundanzgrad, wie auch probabilistisch, die bestmöglichen Voraussetzungen für einen sicheren Anlagenbetrieb geschaffen worden."

Die Zuversicht, mit der ein "sicherer Anlagenbetrieb" versprochen wird, muß überraschen, selbst dann, wenn man sich nur an die Darstellung der Sicherheitssysteme hält, die von NPI angeboten worden ist.

Nennen wir bloß einige von NPU selbst genannte Voraussetzungen, unter denen diese Sicherheitssysteme oder auch die "anlageninternen Notfallmaßnahmen" in Anspruch genommen werden sollen. Ganz gleichgültig, ob infolge des Eintretens eines kleinen oder eines großen Lecks im Primärkreislauf die eine oder die andere Maßnahme ergriffen wird: Es werden bereits dann große Mengen an radioaktiven Stoffen aus dem Primärkreislauf freigesetzt sein. Danach wird der Sicherheitsbehälter über einige Zeit nicht zugänglich sein. Man wird also auch im Ungewissen über die Zustände in seinem Inneren sein. An "Betrieb der Anlage" dürfte der Betreiber danach wohl kaum mehr denken, insbesondere schon in Anbetracht der Kosten für die späteren Untersuchungen und Sicherungsarbeiten.

Ähnliches gilt für die "anlageninternen Notfallmaßnahmen" zur sekundärseitigen Wärmeabfuhr. Greift man wirklich, wie von der RSK vorgeschlagen, auch zum letzten Mittel, Kühlteich- oder Flußwasser zu Kühlzwecken in die Anlage zu befördern, dann kommt es in den Rohrleitungen zu Ablagerungen aus dem ungereinigten Wasser. Besonders betroffen ist der gegen Korrosion hochempfindliche Dampferzeuger mit der Vielzahl der dünnwandigen Heizrohre.

In übrigen macht NPI selbst ganz richtig die Unterscheidung in reine Betriebssysteme und Systeme, die ausschließlich der Störfallbeherrschung dienen und zwar dann, wenn das jeweilige Ereignis, das zu einem schweren Störfall führen kann, bereits eingetreten ist. Die Sicherheitssysteme werden also dann benötigt, wenn die Anlage nicht mehr in einem sicheren Zustand ist und die Betriebsmannschaft mit schwerwiegenden Folgen des Unfallablaufs rechnen muß.

Aber diese Systeme sollen ja auch dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit von Kernschmelzunfällen zu reduzieren. Hier dürfte ihre Hauptfunktion zu suchen sein.

Bemerkenswert ist, daß zuletzt nicht einmal mehr der Zielwert, dessen Erreichung der DFD als Begründung für den "Ausschluß" des Hochdruckkernschmelzens genannt hatte und die angeblich allen Planungsüberlegungen zugrundeliegt, überhaupt noch erwähnt wird. Wäre es möglich gewesen, auch nur den erstrebten Wert für die Eintrittswahrscheinlichkeit katastrophaler Unfälle von < 10 -7 pro Reaktorbetriebsjahr zu errechnen, hätte man sicher nicht gezögert, dies unter Angabe des erreichten Werts als wichtigen Erfolg mitzuteilen.

Letztlich hat ja die Formel "äußerst unwahrscheinlich" nie etwas mit der Methode zu tun gehabt, Versagenswahrscheinlichkeiten auf Grund von Betriebserfahrung zahlenmäßig zu ermitteln. Sie gab immer schon nur das "subjektive Gefühl" von Ingenieuren und Wissenschaftlern wieder.

Charakteristisch für die gesamte Darstellung ist die stillschweigende Unterstellung, daß selbst die waghalsigsten Unternehmungen mit Erfolg durchgeführt werden können.

Alle Unfallabläufe, bei denen der Sicherheitsbehälter zerstört werden kann - Hochdruckkernschmelzen, Wasserstoffexplosion, Dampfexplosion - , werden auf diese Weise weggeredet. Es gibt keinerlei technische Vorrichtungen, den Sicherheitsbehälter gegen die Zerstörungen, die durch diese Vorgänge angerichtet werden können, zu bewahren. Es gibt keinen Schutz vor der Freisetzung großer Mengen radioaktiver Stoffe nach der Zerstörung des Sicherheitsbehälters. Die Folgen solcher katastrophalen Ereignisse für die Bevölkerung werden nicht verhindert.

Auch der Kernfänger, der für die Verhinderung des Durchschmelzens des Fundaments nach Niederdruckkernschmelzen sorgen sollte, kann diese Aufgabe anscheinend nicht befriedigend erfüllen. Denn die radiologischen Konsequenzen dieses Unfallablaufs werden nicht dargestellt.

Was man der Öffentlichkeit als Lösung zur Verringerung der Folgen von Dampferzeuger-Heizrohrbrüchen präsentiert, ist gegenüber der Notwendigkeit, Hochdruckkernschmelzen zu berücksichtigen, inakzeptabel.

Die Anordnung der Sicherheitssysteme zeigt, daß das Bypass-Problem nicht wirklich gelöst werden kann.

Ob mit dem Spannbeton-Sicherheitsbehälter das Problem der Leckrate bewältigt werden kann, bleibt offen.

Die ganze Darstellung kann zum Teil schon beim Rückgriff auf die Aussagen im Text widerlegt werden. Im übrigen hält sie relativ einfachen Überlegungen nicht stand.

Dieses Unvermögen wird überdeckt von einer Ausdrucksweise, mit der das miserable Ergebnis in lauter Erfolgsmeldungen umgemünzt wird.

Der ganze Artikel ist offenbar auf das Ziel ausgerichtet, in der deutschen öffentlichen Meinung die Vorstellung aufrechtzuerhalten, mit dem EPR würden die hohen Anforderungen an einen Atomreaktor der Zukunft erfüllt.

Die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, daß diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden muß, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird, erfüllt der EPR nicht. Die Vorsorge gegen Schäden, die sich als Grundrechtsverletzungen darstellen, ist durch ihn technisch nicht verwirklicht.

In keinem der entscheidenden Punkten gelingt es den Planern des EPR, die hohe Hürde der Genehmigungsvoraussetzung des § 7 Abs. 2a AtG zu überwinden, nach der ein neuer Atomreaktor so beschaffen sein muß, daß auch bei sehr gering wahrscheinlichen schweren Unfällen die radioaktiven Freisetzungen so begrenzt werden können, daß außerhalb des Anlagengeländes einschneidende Katastrophenschutzmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung entbehrlich sind.

Unter diesen Bedingungen darf eine Genehmigung für den EPR nicht erteilt werden.

Bau und Betrieb des EPR wären grundrechtswidrig.

Trotz der früheren Versprechungen gibt es noch keine Unterlagen, die den Anforderungen für einen Genehmigungsantrag genügen. Deshalb soll jetzt eine Phase der weiteren Optimierung oder Weiterentwicklung folgen. Die großen Stromproduktionsunternehmen haben schon Zusagen zur Finanzierung dieser Arbeiten gegeben.

Als Ziel der Weiterentwicklung wird die Verbesserung des Kostenverhältnisses des EPR im Vergleich mit anderen Stromproduktionstechniken genannt. Gegenüber den jetzt errechneten Kosten für den EPR sollen die Kapitalkosten um 15 % gesenkt werden.

Schon die Annahmen für die Kostenrechnungen, die bisher von NPI vorgelegt worden sind, stehen auf äußerst schwachen Füßen, wie der bekannte ehemalige Atommanager und heutige Atomkritiker Klaus Traube während des Workshops in Kiel vorgeführt hat.

Ganz abgesehen davon hat die Ankündigung, daß mit der Optimierung eine Senkung der Kapitalkosten erreicht werden kann, einen weiteren schweren Mangel. Die Senkung der Kosten wird mit Hilfe von technischen Maßnahmen angestrebt. Zu diesen gehören z.B.:

Von NPI wird darauf hingewiesen, daß die nun noch angestrebte Leistungserhöhung auch Folgen für die Anlagenteile im konventionellen Bereich, also für Turbine und Generator, hat, die Extrakosten verursachen. Überdies behaupten sie, daß an den Sicherheitsanforderungen festgehalten werden soll, ohne daß dies größeren Einfluß auf die Kosten hat.

Mit dem Argument der Verringerung der Kapitalkosten versucht man bei NPI, die Akzeptanz für den EPR bei den zukünftigen Kunden, vornehmlich im Kreis der europäischen EVU, zu verbessern.

Die von NPI gemachten technischen Vorschläge zeigen, welche Auswirkungen die Optimierung oder Weiterentwicklung auf den Bereich der Sicherheitsanforderungen haben wird: Das erklärte Ziel der Senkung der Kapitalkosten soll erreicht werden durch eine Absenkung der Sicherheitsanforderungen unter das Niveau, das heute allgemein verwirklicht ist und das selbst kaum den Forderungen des Standes von Wissenschaft und Technik entspricht.

Das steht in krassem Gegensatz zu den Aussagen von NPI, mit denen in der deutschen Öffentlichkeit "gehighlightet" werden soll.

Zum Schluß noch ein Hinweis auf die "europäische Dimension" des EPR: Sie bezieht sich hauptsächlich auf einheitliche Anforderungen gegen Erdbeben, so daß der EPR in allen EU-Ländern gebaut werden könnte. Ein interessantes Detail ist, daß ein Kraftwerk der geplanten Größe nur in einem Netz mit angemessener Leistung betrieben werden. Diese Bedingungen sind in Mitteleuropa und in den Industriestaaten erfüllt, in vielen anderen Ländern jedoch nicht. Man kann dies als Anzeichen deuten, daß der Markt für den EPR mehr und mehr auf die EU-Länder beschränkt gesehen wird, in denen um das Jahr 2010 an den Ersatz der vorhandenen Atomkraftwerke gedacht werden muß.

Professor Reimann von der Fachhochschule Saarbrücken beendete sein Referat zur Problematik der Schmelze-Kühlmittel-Wechselwirkung und zur Möglichkeit von Dampfexplosionen mit dem Hinweis auf des Kaisers neue Kleider. Den nehmen wir gern auf:

In dem Märchen von Hans Christian Andersen gab ein Kaiser, der sich vom Volk am liebsten seiner prunkvollen Kleider wegen bewundern ließ, neue Gewänder in Auftrag. Die Schneider hatten erklärt, daß sie einen Stoff verwendeten, der für jeden Menschen unsichtbar bliebe, der nicht für sein Amt taugte oder auch unerlaubt dumm sei. Als die neuen Kleider fertig waren, wagten des Kaisers Höflinge und auch er selber nicht, sich anmerken zu lassen, daß sie nichts sahen. In einer großen öffentlichen Parade führte der Kaiser seine neuen Kleider dem Volk vor. Alle äußerten sich begeistert. "Aber er hat ja nichts an!" sagte ein kleines Kind. Einer flüsterte das dem anderen zu. Zuletzt rief die versammelte Menge: "Er hat ja gar nichts an!"

Die deutschen Sicherheitsgremien im DFD und der EPR

Alle die technischen Probleme, mit denen wir uns gerade beschäftigt haben, sind in der Bundesrepublik nicht nur für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung von großer Bedeutung. Wir haben bereits mehrfach angemerkt, daß man sie selbstverständlich auf die Gesetzeslage in der Bundesrepublik beziehen muß. Diese unterscheidet sich ganz wesentlich von der in Frankreich dadurch, daß der § 7 Abs. 2a Atomgesetz als Genehmigungsparagraph in der Praxis von Antragstellern und Genehmigungsbehörden berücksichtigt werden muß. Wir haben auch darauf hingewiesen, daß die hohe Hürde, die mit der Formulierung seiner Anforderungen errichtet ist, mit dem EPR nicht überwunden werden kann.

Wir haben gegenüber dem DFD einen Verdacht ausgesprochen. Darauf müssen wir jetzt noch eingehen.

Es muß zuerst daran erinnert werden, welche deutschen Institutionen diesem Gremium angehören. Als Teile der Exekutive sind zu nennen das Bundesumweltministerium (BMU) und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) läßt sich die Bundesregierung beraten. Das gilt auch für die Reaktorsicherheitskommission (RSK). Diese sind auf der deutschen Seite an der Festlegung der Genehmigungsanforderungen für den EPR beteiligt. So wie die französischen Partner die Interessen von EdF und Framatome berücksichtigen, so haben sie diejenigen der deutschen Stromversorgungsunternehmen und insbesondere von Siemens als Teilhaber an NPI im Auge.

Gegen die deutschen Partner im DFD speziell richtet sich also unser Verdacht, daß der DFD den Planern bei NPI Hilfestellungen bietet, wie die Hürde des § 7, Abs. 2a Atomgesetz umgangen werden könnte durch bloße Neudefinition der Abgrenzung zwischen den Unfallabläufen, die im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen sind, und dem "Restrisiko", das der Diskussion im Genehmigungsverfahren entzogen werden könnte.

Diese Grenze wurde 1995 markiert durch den "Ausschluß" des Hochdruckkernschmelzens. Schon das stand im Widerspruch zur Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß eine Genehmigung nicht erteilt werden darf, wenn sich die nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen erforderliche Vorsorge gegen Schäden technisch nicht verwirklichen läßt. Die "Vorsorge gegen schwere Kernschmelzunfälle" bezöge sich dann nur noch auf das Kernschmelzen unter Niederdruckbedingungen im Primärkreislauf.

Der Vorbehalt, daß weitere Weichenstellungen im Verlauf der Planung möglich sind, deutet in die Richtung, daß diese Abgrenzung noch verschoben worden sein könnte.

Dafür bietet NPI einen Beleg mit dem Diagramm, das auf Seite 47 des Tagungsbandes vom Workshop des Kieler Energieministeriums unter der Überschrift "Prinzip zur Beherrschung von Auslegungsstörfällen" veröffentlicht ist. Es hat folgenden Inhalt:


Prinzip zur Beherrschung von Auslegungsstörfällen


Auslegungsbereich


Risikominimierung

 


Sicherheitsfunktionen werden erfüllt durch redundante Sicherheitssysteme, räumlich getrennt und geschützt gegen innere und äußere Einwirkungen

bei postuliertem Ausfall von Sicherheitssystemen sind Ersatzfunktionen verfügbar, um Kernschmelzen zu verhindern

Tabelle 11. EPR: Prinzip zur Beherrschung von Auslegungsstörfällen

Man beachte die Wortwahl!

Dem Auslegungsbereich, also dem, was im Genehmigungsverfahren zu behandeln ist, werden die Sicherheitssysteme zugeordnet, die vierfach redundant in den Gebäudedivisionen untergebracht sind. Diese Systeme waren schon immer Inhalt des zu Genehmigenden.

Das Versagen dieser Systeme wird einem anderen Bereich zugeordnet, nämlich der "Risikominimierung", es gilt zugleich nur als "postuliert". Wir finden hier gleich zwei Ausdrücke aus der Begrifflichkeit vor, mit der bisher stets die Grenze zwischen Genehmigungsbereich und "Restrisiko" definiert wurde. Damit wären das Versagen der Sicherheitssysteme und die als diversitär angebotenen Systeme oder Ersatzfunktionen der Auseinandersetzung mit den Betroffenen im Genehmigungsverfahren entzogen.

Von den hier verwendeten Formulierungen her gelingt dann auch die Aufschlüsselung weiterer Aussagen von NPI zu den technischen Problemen:

Nehmen wir zuerst die Aussage, die eine gewisse Parallele zu der eben diskutierten bildet: "Die Kombination von hoher Redundanz mit diversitären Sicherheitsfunktionen mit gleichen Schutzzielen erhöht nicht nur die Zuverlässigkeit der Sicherheitsfunktionen selbst, sondern liefert auch einen erheblichen Beitrag zur weiteren Verminderung der Eintrittswahrscheinlichkeit schwerer Störfälle." Wenn die "diversitären Sicherheitsfunktionen" dem Restrisiko zugeordnet sind, dann natürlich auch die mit ihnen verbundene Verminderung der Eintrittswahrscheinlichkeit schwerer Störfälle, mit der bekanntlich der "Ausschluß" des Hochdruckkernschmelzens erreicht werden soll.

Auch dieses Problem wäre damit der öffentlichen Erörterung im Genehmigungsverfahren entzogen.

Klaus Traube zitiert in den Anmerkungen zu seinem Beitrag zu dem Tagungsband des Kieler Workshops eine weitere interessante Aussage von NPI: " ... particular attention is paid to the potential high pressure core melt sequences and to potential non-mitigable core melt sequences in order to check that the sequences are praktically eliminated".
Übersetzt : " ... besondere Aufmerksamkeit ist gerichtet auf die möglichen Hochdruck-Kernschmelzabläufe und auf mögliche in ihren Auswirkungen nicht begrenzbare Kernschmelzabläufe mit dem Ziel zu prüfen, daß diese Abläufe praktisch ausgeschlossen sind."

Wenn man erkannt hat, daß die Folgen von Hochdruckkernschmelzen nicht durch technische Maßnahmen wie ein entsprechend gebautes Containment verhindert werden sollen, dann kann man dieses "praktisch ausgeschlossen" nur mit dem vom DFD vorgeschlagenen "Ausschluß" durch Übereinkunft gleichsetzen.

Eine weitere Aussage von NPI gehört in den Zusammenhang mit dem Niederdruckkernschmelzen; angeblich wird sichergestellt, daß dieser "unwahrscheinliche und nur hypothetisch angenommene Fall" eines Kernschmelzunfalls außerhalb der Anlage selbst keinerlei Auswirkungen haben wird.

Auch die Formel vom "unwahrscheinlichen und nur hypothetisch angenommenen Fall" ist seit langem gebräuchlich, um Ereignisse dem "Restrisiko" zuzuordnen.

War der DFD 1995 noch der Ansicht, die radiologischen Auswirkungen des Niederdruckkernschmelzens müßten berechnet werden, das heißt: mit ihnen müßte den Anforderungen des Genehmigungsverfahrens Genüge getan werden, so ist NPI heute kühn genug, zum Ausdruck zu bringen, daß man das nicht mehr für nötig hält. Da die Aussicht auf die Realisierbarkeit des Kernfängers schwindet, ist offensichtlich eine Weichenstellung erfolgt. Über den "Ausschluß" des Hochdruckkernschmelzens hinaus wird auch das Niederdruckkernschmelzen in das "Restrisiko" eingeordnet, die Abgrenzung gegen das, was im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen ist, so neudefiniert, daß auch dieser Unfallablauf nicht öffentlich diskutiert werden kann.

Da Dampfexplosionen, Wasserstoffexplosion und Beton-Schmelze-Wechselwirkung im Zusammenhang mit dem Unfallablauf Niederdruckkernschmelzen abgehandelt sind, werden sie ebenfalls zu "Restrisiko" erklärt.

Allgemein verbindet man mit den Anforderungen des § 7 Abs. 2a das Verständnis, daß die Genehmigung nur erteilt werden kann, wenn die schwerwiegenden Folgen von Kernschmelzunfällen durch wirksame praktische Maßnahmen ausgeschlossen sind, sodaß Katastrophenschutzmaßnahmen außerhalb der Anlage nicht erforderlich sind.

Diese Grenze wurde 1995 markiert durch den "Ausschluß" des Hochdruckkernschmelzens. Schon damit entzog man sich der Forderung, daß diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden muß, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird.

Nach den Aussagen von NPI ist diese Grenze aber inzwischen verschoben: Nun wird die gesamte Kernschmelzproblematik, das Hochdruckkernschmelzen mit Zerstörung des Sicherheitsbehälters und Freisetzung eines sehr großen Anteils verschiedener radioaktiver Stoffe aus dem Kern in die Umgebung, das Niederdruckkernschmelzen, bei dem immerhin noch 100 % der Edelgase entweichen, und die explosiven Vorgänge bei Wasserstoffbildung und Schmelze-Kühlmittel-Wechselwirkung nicht dem Auslegungsbereich zugeordnet, der den Inhalt des Genehmigungsverfahrens bestimmt, sondern als Restrisiko behandelt.

Nun kann es kaum mehr verwundern, daß man bei NPI wagt, bei den eigenen Aussagen zu den vorgeschlagenen technischen Maßnahmen so wenig auf Qualität Rücksicht zu nehmen, daß man schon von Scharlatanerie sprechen kann. Man scheint nicht zu fürchten, daß diese Aussagen der Prüfung durch die Auseinandersetzung mit den Betroffenen ausgesetzt werden müssen.

NPI könnte sich wohl kaum erlauben, ohne das Einverständnis des DFD zu agieren. Andererseits hatte dieser Ausschuß ja Weichenstellungen in Aussicht gestellt. Diese sind offensichtlich in der Zwischenzeit vollzogen worden mit dem eben dargestellten Ergebnis.

Das Ziel von NPI ist klar, und der DFD, in dem die deutschen und französischen Sicherheitsbehörden vertreten sind, fördert durch seine Vorschläge diese Vorgehensweise. Alle Erkenntnisse, die der Errichtung des EPR entgegenstehen, sollen beiseitegeräumt werden. Genau dieses Vorgehen widerspricht den Forderungen, die aufgrund des Standes von Wissenschaft und Technik gestellt werden müssen: Wenn die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehaltene Vorsorge technisch nicht verwirklicht werden kann, darf die Genehmigung nicht erteilt werden!

Hochdruckkernschmelzen mit Zerstörung des Sicherheitsbehälters und den damit verbundenen schwerwiegenden Folgen für die Bevölkerung ist heute als praktisch möglich wissenschaftlich anerkannt. Es liegt nicht jenseits der Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens. Wenn heute nicht einmal der so vielfach gepriesene Kernfänger verwirklicht werden kann, müßte das Projekt EPR eigentlich abgebrochen werden.

Physikalische Gesetzmäßigkeiten halten sich nicht an die Wunschvorstellungen, die in den vom DFD gedeckten Sprachregelungen zum Ausdruck kommen.

Unser böser Verdacht, daß insbesondere die deutschen Vertreter, die dem DFD angehören, den Planern bei NPI Hilfestellungen zur Umgehung der hohe Hürde des neuen § 7, Abs. 2a des Atomgesetzes bieten, ist nicht entkräftet, sondern ist zur Gewißheit geworden.

Dieses Gremium verfolgt nicht das Ziel, diese Forderung zu verwirklichen, sondern durch Interpretation der Ergebnisse der Reaktorsicherheitsforschung auf wissenschaftlich unhaltbare Weise die Planung eines Druckwasserreaktors zu ermöglichen, der den heutigen Erkenntnissen über die Unsicherheit dieser Technik nicht genügt. Es hat sich vielmehr der Aufgabe verschrieben, bloße Sprachregelungen zu finden für die Propaganda, die die politische Diskussion in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik zugunsten des EPR bestimmen soll.

Übrigens dürfte der DFD unter diesen Bedingungen auch keine Schwierigkeiten damit haben, die Genehmigungsfähigkeit der Anlage in beiden Ländern festzustellen, ohne daß es spezifischer Anpassungen bedarf.

Danach sollte man sich auch keinen Illusionen hingeben, in der jetzt folgenden Optimierungs- oder Weiterentwicklungsphase würde es noch zu Verbesserungen bei den technischen Sicherheitsmaßnahmen kommen.

Nicht nur Siemens, sondern auch das Bundesumweltministerium und die anderen deutschen Vertreter im DFD mißachten den Schutz des Grundrechts auf Leben und Gesundheit, dem wegen der bekannten Gefährdungen, die von Atomtechnik ausgehen, hier ein besonderes Gewicht zukommt. Sie handeln grundrechtswidrig.

Hat der EPR noch wirtschaftliche Aussichten?

Aber wie steht es mit den wirtschaftlichen Aussichten für den EPR? Gibt es nicht längst Aussagen von Vertretern der Atomkraftwerksbetreiber, sie hätten kein Interesse am Bau neuer Atomkraftwerke? So sagte derPreag-Chef Harig im Januar 1997, er sehe "in Deutschland in einem völlig liberalisierten Strommarkt ... kein neues Kernkraftwerk entstehen". Und Timm von HEW verkündete im Juli 1997: "Unter den sich abzeichnenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen lohnt sich der Bau neuer Kernkraftwerke künftig nicht mehr." Farnung von der RWE drückt sich Anfang Mai 1998 weit weniger entschieden aus. Einerseits sei für ihn die Errichtung neuer Kernkraftwerke "unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit heute nicht die erste Wahl", andererseits gebe es "Viele Gründe, die dafür sprächen, auf die Kernkraft nicht zu verzichten", wenn auch der EPR "selbstverständlich nur bei nachgewiesener Wirtschaftlichkeit eine Zukunft haben" werde.

Die Tätigkeit der deutschen Partner im DFD zeigt, daß Siemens sich immer auf noch eine sehr starke Lobby verlassen kann. Es waren die süddeutschen EVUs, die zugunsten von Siemens durchgesetzt hatten, daß die Planung weitergeführt wird zwecks Durchführung eines standortunabhängigen Genehmigungsverfahrens.

Es gibt eine Parallelität des EPR als Projekt, das Siemens mit der Erhaltung von Arbeitsplätzen begründet, zu anderen Industrie-Großprojekten. Ein bekanntes Beispiel ist der Transrapid, mit dem Arbeitsplätze bei Thyssen in Kassel verbunden sind. Ein anderes, das für die Politik der niedersächsischen Landesregierung unter Gerhard Schröder kennzeichnend ist, bietet die Meyerwerft in Papenburg an der Ems, im Binnenland ca. 30 km oberhalb von Emden. Statt dieser Firma, die in den letzten Jahren ständig größere Luxusfahrgastschiffe in Auftrag genommen hat, frühzeitig einen anderen Standort anzubieten, hat die Landesregierung immer wieder dem Wunsch des Unternehmens nachgegeben, von Mal zu Mal den Flußlauf der Ems weiter zu vertiefen. Jetzt hat das Unternehmen den Auftrag für ein Schiff von noch größeren Ausmaßen vor sich. Eine weitere Vertiefung der Ems ist nicht möglich. Nun auf einmal wird ein Stauwerk für die Ems bei Emden geplant, das noch vor zwei oder drei Jahren von der Planungsbehörde als ökologisch schädigend für das Flußsystem abgelehnt wurde. Begründung für dieses Vorgehen war immer die Erhaltung der Arbeitsplätze in der wirtschaftlich schwachen Region im nördlichsten Emsland.

Auch ein Blick über die immer noch existierenden nationalen Grenzen Frankreichs und der Bundesrepublik hinaus ist angebracht.

Parallel mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit für den EPR haben alle Energieversorgungsunternehmen der EU, die größere Kraftwerke betreiben, begonnen, gemeinsame Anforderungen für die nächste Generation von Leichtwasserreaktoren zu formulieren. Für sie ist eine Eu-Richtlinie erarbeitet worden. Das Ziel ist, eine Standardisierung zu erreichen, die eng an die Entwicklung des EPR angelehnt ist. Es heißt: "Die französischen und deutschen Betreiber unterstützen dieses Ziel mit aller Kraft."

Gerade vom spanischen Consejo de Seguridad Nuclear, dem Nuklearen Sicherheitsrat, wurden diese Bemühungen vorangetrieben, innerhalb der EU die Anforderungen an künftige Atomkraftwerke einander anzugleichen und dadurch auch das Projekt EPR zu fördern. Um das zu verstehen, muß man sich die Situation der Stromproduktion in Spanien vergegenwärtigen. Dort sind neun Atomkraftwerke in Betrieb, die gut ein Drittel des dort benötigten Strom produzieren. Sie sind alle schon ziemlich alt. Der letzte Auftrag für den Bau einer Anlage wurde 1976 erteilt. Zwar gibt es einen vom Parlament ausgesprochenen Ausbaustop bis zum Jahr 2000. Der Nukleare Sicherheitsrat vertritt aber die Auffassung, eine engere Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union könnte dazu führen, anhand der in Angriff genommenen Planungsarbeiten für den EPR könnte eine gemeinsame Tätigkeit entwickelt werden. Diese könnte dem Bedarf der am weitesten entwickelten Länder entsprechen, soweit es sich um die Frage des Ersatzes der überalterten Atomkraftwerke handelt. Er hebt die Bereitschaft hervor, "eine gemeinsame Zukunft vorzubereiten".

In dem Wettbewerb für den Bau eines Atomkraftwerks, den die Türkei ausgeschrieben hat, haben Anfang des Jahres 1998 Siemens und Framatome für ihr gemeinsam angebotenes Projekt den Zuschlag erhalten, weil sie die übrigen Anbieter im Preis unterboten. Als Referenzanlage bezogen sie sich auf den 1989 ans Netz gegangenen Konvoi-Reaktor Neckarwestheim II. Dieses Merkmal genügt, um das "gemeinsame Projekt" als den EPR zu erkennen, der ja von NPI als "Weiterentwicklung der zuletzt gebauten Anlagen" bezeichnet wird. Man sollte sich nicht darauf verlassen, daß der türkische Staat dennoch Mühe haben könnte, diese Anlage zu finanzieren. Konnten doch schon bisher Großunternehmen in der Bundesrepublik immer wieder auch dann mit staatlicher Unterstützung rechnen, wenn zwar der mögliche Auftrag verkündeten politischen Zielen wie z.B. der Rüstungsbeschränkung widersprach, aber mit der Erhaltung von Arbeitsplätzen argumentiert werden konnte.

Im Fall des EPR wäre es daher durchaus vorstellbar, daß eine Bundesregierung auch unter Gerhard Schröder, der sich gegen den Bau des EPR in der Bundesrepublik erklärt hat, einen Auftrag an Siemens aus dem Ausland unterstützen würde, aber sich auch Wünschen der großen Stromproduktionsunternehmen wie RWE, die er als die größten Investoren hierzulande ansieht, schließlich doch beugt.

Diese Beispiele sollen genügen, um unsere Befürchtungen zu begründen, daß der Bau des EPR entgegen einer intelligenten Energiepolitik und unter Mißachtung der Grundrechte der Bürger doch durchgesetzt werden könnte.

Aber sind da zum Schutz der Grundrechte nicht noch Gesetz und Recht?

Im letzten Teil unserer Arbeit wollen wir uns dieser Frage noch einmal zuwenden.


Weiter zum Teil 4 - Das Atomgesetz: einst verfassungsgemäß, heute grundrechtswidrig

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